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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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der groben Holzplanke. Nachdem alle Männer des Niedergerichts die Schwurfinger der rechten Hand in Anrufung Gottes gen Himmel erhoben und die Linke auf die Bibel oder ein Kreuz oder etwas anderes Heiliges gelegt hatten, das dem Brand nicht zum Opfer gefallen war, sprach der Vogt die Worte, die es stets zu sprechen galt, bevor er begann. »Ein jegliches Urteil, das Ihr sprecht, wird auf Euch zurückfallen. Denn mit welcherlei Maß Ihr messet, damit werdet Ihr gemessen werden. Darum sehet zu, was Ihr tut, wenn Ihr anderen ein Urteil sprecht. Denn Ihr haltet nicht der Menschen, sondern Gottes Gericht.« Nach diesem Eid ertönte noch ein kräftiges »Juste iudicate« aus dem Mund des Vogtes, das alle Herren dazu anhalten sollte, gerecht zu urteilen. Dann begann das Gericht.
    Um den Tisch mit dem Vogt und den Beisitzern hatte sich ein Halbkreis gebildet. Entschlossen trat der erste Bürger nach vorn auf die freie Fläche, um sein Begehr vorzubringen. Es war ein Mann aus der Mittelschicht, vielleicht ein Handwerker. Doch noch bevor er zu sprechen begann, schaute der Vogt von dem Schriftstück vor sich auf und wies den Mann daraufhin überraschenderweise zurück.
    »Bitte haltet ein, guter Mann. Seid gewiss, auch Euch wird heute Recht gesprochen, doch zuvor wird das Niedergericht sich einem Fall widmen, der schon viel zu lange darauf wartet, geklärt zu werden.«
    Der Mann war sichtlich verwundert, doch er tat, was von ihm verlangt wurde, und ging wieder in die Menge zurück.
    Alle Umstehenden begannen zu flüstern und zu tuscheln. Was hatte diese Verzögerung zu bedeuten? Um was für einen Fall konnte es sich handeln, der so wichtig war, dass das Gericht ihn vorzog?
    Dann erklang ein lauter Ausruf. »Albert und Conrad von Holdenstede, das Niedergericht fordert Euch auf vorzutreten.«
    Es dauerte einen Moment, bis die Angesprochenen verstanden, dass sie gemeint waren. Etwas verwundert trat zunächst Albert und dann Conrad in den Halbkreis. Wie alle anderen waren auch sie heute hierhergekommen, um Angelegenheiten in eigener Sache zu klären; doch diese hatten nichts mit dem jeweils verhassten Bruder zu tun. Warum also sollten sie beide gleichzeitig vortreten? Ahnungslos standen die Männer direkt nebeneinander, jedoch ohne sich auch nur eines Blickes zu würdigen. Seit einer Ewigkeit hatten sie kein Wort mehr miteinander gesprochen, und keiner von beiden war gewillt, das heute zu ändern.
    Zur Überraschung aller Anwesenden forderte der Vogt nun auch den mittlerweile steinalten, aber immer noch sehr bedeutenden Hamburger Kauf- und Ratsmann Ecbert von Harn auf, nach vorn zu treten. Während er sich unendlich langsam, auf einen Stock gestützt, aus der Menge löste, blickte der Graue Conrad von der Seite an.
    Dieser bemerkte den Blick und fühlte augenblicklich ein Schaudern auf dem Rücken. Was hatte das alles hier zu bedeuten? Er würde es sicher gleich erfahren.
    Dann begann der gräfliche Vertreter zu sprechen. »Ecbert von Harn, beantwortet mir eine Frage: Könnt Ihr beschwören, dass Ihr, zusammen mit dem im Feuer dahingeschiedenen Dominus Bertram Schele, Zeugen der Testamentserrichtung von Conradus von Holdenstede gewesen seid? Dann bezeugt es mit einem Schwur und dem Ausspruch des Namens von Bertram Schele, so wie es das Ordeelbook verlangt, und Euer Wort soll auch ohne ihn genügen.« Dann nickte er einem Ratsboten zu, der wie üblich die entsprechende Stelle des Urteilsbuchs verlas.
    »Wenn einer vor zwei Ratsmannen sein Testament aufsetzt, der siech ist und auf dem Sterbebette liegt, und stirbt dann einer der beiden Ratsmannen, so kann der andere wohl allein bezeugen, wie das Testament bestimmt ist oder war, und das soll gültig sein. Und der überlebende Ratsmann soll den verstorbenen Ratsmann bei Namen benennen und beschwören, dass er mit ihm bei der Testamentserrichtung zugegen war.«
    Der altehrwürdige Ratsmann nickte und sprach unerwartet laut: »Ich schwöre, dass ich zusammen mit Dominus Bertram Schele Zeuge der Testamentserrichtung von Conradus von Holdenstede gewesen bin.«
    »Habt Dank«, sprach der Vogt und wandte sich nun Conrad zu. »Conrad von Holdenstede, ist das hier das Testament Eures Vaters, welches Ihr noch am Tage seines Dahinscheidens selbst dem Rat in zweifacher Ausführung übergeben habt?«
    Conrad stockte der Atem. Was wurde hier gespielt? Warum interessierte das Niedergericht sich plötzlich für das Testament seines Vaters? Zögerlich trat er bis zu dem provisorischen Tisch des

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