Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Außerdem ist es ein außergewöhnlicher Umstand, und darum greife ich zu außergewöhnlichen Ausnahmen.« Dann richtete er das Wort wieder an Hildegard. »Domina Hildegard, wie könnt Ihr so genau wissen, dass der Angeklagte Euren Mann dem Feuer überlassen hat, wenn Ihr davor bereits die Stadt verlassen habt?«
Diese durchaus berechtigte Frage brachte die Angesprochene nicht im Geringsten aus der Fassung. Sie war darauf vorbereitet und antwortete laut und deutlich und ohne ein Anzeichen von Zweifel. »Ich weiß es deshalb so genau, weil ich eine Zeugin habe, ehrenwerter Vogt. Sie ist zwar nur eine Magd, doch sie hat den Vorfall beobachtet.« Dann winkte sie Marga heran, die mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern vortrat. »Sag dem Gericht, was du gesehen hast.«
Marga trat mit auf den Boden gerichtetem Blick vor. All ihren Mut musste sie für diese paar Schritte zusammennehmen. Sie fürchtete sich schrecklich davor, ihren eigenen Herrn vor dem Gericht anzuklagen. Doch der Gedanke an ihre Mutter, die nur deshalb hatte sterben müssen, da niemand ihnen geholfen hatte, stärkte ihre Zunge. Dann atmete sie tief ein und begann zu sprechen. »Ich bin Marga, die Magd des Angeklagten Dominus Conrad von Holdenstede.« Sie zitterte am ganzen Körper. »In … in der Nacht des Feuers verließen alle Bewohner das Haus der von Holdenstedes gemeinsam. Ich musste meine Frau Mutter stützen, da sie nicht recht laufen konnte. Irgendwann verließen mich die Kräfte und … und …« Marga stockte. Tränen liefen ihr über die Wangen, doch Hildegard von Horborg zwang sie, weiterzusprechen, indem sie die Magd am Arm packte und sanft schüttelte.
»Wir fielen zurück, und dann waren Mutter und ich ganz allein. Ich bin umhergerannt, um Hilfe zu holen, doch ich habe niemanden gefunden. Es war einfach niemand mehr da …« Wieder schluchzte sie herzzerreißend, doch diesmal fing sie sich von selbst. »Als ich dann mein eigenes Leben zu retten versuchte, sah ich in einer Straße plötzlich Dominus Willekin von Horborg mit gebrochenen Gliedern auf dem Boden liegen. Er schrie den Namen meines Herrn, doch dieser ging einfach von ihm fort. Noch bevor ich ihm zu Hilfe eilen konnte, wurde er von herabfallenden Balken begraben und ging in Flammen auf.«
Der Vorsitzende nickte zum Zeichen, dass sie nun wieder gehen konnte. Dann sah er Conrad an und sagte: »Nun, wenn das so ist, dann gehört Euer Fall eigentlich nicht mehr vor das Vogtgericht, sondern vor das Blutgericht des Rates.«
Wieder schwoll das Gemurmel der Umstehenden an. Die Menge war kaum mehr zu halten. Das anfängliche Geflüster wurde zu einem lärmenden Protest, der schlussendlich mit wütenden und immer lauter werdenden Rufen endete.
»Mörder!«
»Verräter!«
»Hängt ihn!«
Der Vorsitzende versuchte vergeblich die wütende Meute zu beruhigen, doch diese Menschen, denen in den letzten Tagen so viel Leid widerfahren war und die ihre Lieben durch das Feuer hatten sterben sehen, waren einfach nicht bereit, einem Mörder in ihrer Mitte zu vergeben. Die Rufe des Vogtes wurden mehr und mehr übertönt, und auch sein Hämmern auf den Tisch bewirkte kaum noch etwas.
Conrad sah sich umringt von Menschen mit wutverzerrten Gesichtern, die lauthals seinen Tod forderten. Ungehindert kamen sie immer näher, die Fäuste bedrohlich in die Höhe gereckt.
Conrads selbstbewusster Zorn über die Dreistigkeit der Anschuldigungen verwandelte sich in Furcht, die ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Man wollte ihn tatsächlich hängen sehen. Der Halbkreis wurde immer enger und die Fläche in der Mitte immer kleiner. Angsterfüllt fing er an, sich mit rudernden Armen der immer näher kommenden Meute zu erwehren. »Geht gefälligst zurück, Ihr Pack! Hört Ihr nicht, was das Gericht Euch befiehlt? Verschwindet!«
Plötzlich griff einer der Männer nach seinem Surkot. Conrad konnte gerade noch zurückspringen, um dem Angriff auszuweichen. Dann erst sah er, wer nach ihm gegriffen hatte. Es war Johannes vom Berge – sein eigener Schwager.
»Du Hurensohn!«, spie Conrad ihm entgegen. »Was wagst du es, mich anzugreifen. Nimm gefälligst deine Finger von mir, sonst töte ich dich genauso leichtfertig wie meinen greisen nichtsnutzigen Vater!«
Nach diesen Worten wurde es still. Jeder Einzelne starrte auf Conrad. Selbst das Gericht schwieg, und der Vogt hörte auf, mit seiner Faust auf den Tisch zu hämmern, um die Ordnung wiederherzustellen. Sie alle starrten verblüfft auf Conrad und
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