Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
er stammt eindeutig aus der Feder Eures Vaters. Wohl wissend um Eure Habgier, hat er es wohl zu Zeiten seines Amtes im Rat heimlich in der Stadtkiste hinterlegt, deren Schlüssel er jener Tage innehatte. Die Echtheit der Urkunde steht außer Zweifel, da, wie Ihr hier sehen könnt, sogar noch Reste des Stadtsiegels erhalten sind. Auch wenn von der Inschrift Sigillum burgensium de Hammenburch nur noch das erste Wort zu lesen ist, erkenne ich darin Conradus’ Willen.« Johann ergriff das abgeschmolzene Siegel und hielt es einen Moment lang für jedermann sichtbar in die Menge. Dann wandte er sich wieder Conrad zu. »Eure Schuld in dieser Sache zu leugnen ist absolut sinnlos, da Ihr der Einzige seid, der einen Vorteil durch die Änderung erlangte. Mit der Fälschung wolltet Ihr verhindern, dass Euer Bruder das ganze Erbe Eures Vaters zugesprochen bekommt. Denn hier steht eindeutig geschrieben, dass derjenige, der zuerst einen männlichen Nachfolger zeugt, das gesamte Vermögen des Conradus von Holdenstede zugesprochen bekommt. Da die Dame Ragnhild zu jener Zeit guter Hoffnung war, habt Ihr das Testament zu Euren Gunsten gefälscht und Euren Bruder somit zu Unrecht bis zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag unter Euch leben und arbeiten lassen.«
Conrad fühlte, wie der Boden unter seinen Füßen ins Wanken geriet. Er wusste, dass sein Geheimnis nun tatsächlich aufgeflogen war. Auch wenn die Ableitung des Ratsnotars nicht eindeutig seine Schuld bewies, war jetzt schon klar, dass seine Feinde ihm keine Gnade gewähren würden. Nach all den Jahren, in denen niemand hinter die Fälschung gekommen war, wurde er tatsächlich doch noch für dieses Verbrechen angeklagt. Ausgerechnet jetzt, da Willekin tot und somit kein Zeuge des Vergehens mehr am Leben war, der ihn hätte verraten können, verriet ihn sein eigener Vater noch aus dem Grabe heraus. Conradus hatte seinen Sohn durchschaut und ihm mit dem zweiten Testament eine Falle gestellt. In diesem Moment spürte Conrad wieder, wie sehr er ihn auch heute noch hasste. Dafür, dass er zugelassen hatte, dass ein von Holdenstede eine Dänin heiratete und so den guten Ruf der Familie schmälerte, dafür, dass er sich mit seiner verachtenswert freundlichen Art immer so sehr von Conrad selbst unterschieden hatte, und dafür, dass er Albert genau aus diesem Grund immer mehr zugetan gewesen war. Ihn umzubringen war Conrad tatsächlich leichtgefallen. Er hatte seinen Vater gehasst!
In diesem Moment war es totenstill auf dem Platz vor dem Roland.
Die Schritte der Frau, die nun vortrat, hallten laut in den Ohren der Anwesenden. Es war Hildegard von Horborg, die plötzlich aus der Menge kam. Trotz der misslichen Lage war sie wie immer eine anmutige Erscheinung. Ihr Gang war aufrecht und ihr Blick direkt und ohne Furcht auf das Vogtgericht gerichtet. »Auch ich klage Conrad von Holdenstede an!«, schallte ihre Stimme laut über den Platz.
Alle Köpfe drehten sich zu ihr um. Das Gerede der Umstehenden wurde nun so laut, dass der Vogt mit deutlichen Worten um Ruhe bitten musste.
Conrad starrte die Ratsherrnfrau ungläubig an, die er seit der verheerenden Feuersbrunst nicht mehr gesehen hatte. Auch wenn ihre Worte frech waren, gab er nichts darauf. Sie war bloß eine Frau. Fast resigniert sagt er: »Was redet Ihr da? Niemand will Euer Gewäsch hier hören, Weib. Seid gefälligst still.«
Der Vogt schien zwar verwundert über die Unterbrechung, doch offenbar teilte er die Meinung Conrads nicht. Mit einer entsprechenden Geste forderte er sie auf: »Bitte tretet vor und sprecht, Domina Hildegard.«
»Ich klage Conrad von Holdenstede an, meinen Gemahl, Willekin von Horborg, in der Nacht des Feuers ermordet zu haben. Er war unter brennendem Holz eingeklemmt, und ich konnte ihn nicht allein befreien. Daraufhin rettete Conrad von Holdenstede ihn zunächst und befahl dann seinen Söhnen, mich und seine Frau aus der Stadt zu bringen. Er wollte meinen Gemahl stützen und mit ihm gemeinsam die Stadt verlassen, doch er kam ohne ihn zurück. Ich sage, sein Feuertod war kein Unfall. Conrad von Holdenstede hat ihn absichtlich den Flammen überlassen.«
In diesem Moment fuhr neues Leben in Conrad. »Was wagt Ihr, Weib? Ihr habt kein Recht, eine Klage vor das Gericht zu bringen, wenn Ihr keinen männlichen Vormund vorweisen könnt!«
»Schweigt!«, unterbrach der Vorsitzende Conrad barsch. »Dies hier ist noch immer mein Gericht, und ich entscheide, wer zu sprechen und wer zu schweigen hat.
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