Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
redet«, wetterte Conrad zurück.
»Glaubt Ihr etwa, es wäre uns verborgen geblieben, dass Ihr die Euch zugestandenen Privilegien Albert gegenüber während der letzten Jahre ausgenutzt habt? Schon lange beobachtet man Euch dahingehend. Das Fortschicken Eures Bruders war nur der Tropfen, der das Fass nun endgültig zum Überlaufen brachte.«
Während seiner Worte zeigte Bertram Schele unentwegt mit dem Zeigefinger auf Conrad. Für seinen nächsten Satz jedoch, den er ausspie wie einen Todesstoß, stützte er sich mit beiden Handflächen am Tisch ab und erhob sich.
»Ich fordere, dass Albert von Holdenstede Gerechtigkeit widerfährt, und schlage ihn hiermit für die nächste Wahl der Electi für den sitzenden Rat vor, sofern er rechtzeitig wieder in Hamburg eintreffen möge.«
Die Worte fuhren Conrad durch Mark und Bein. Er wusste so genau wie alle anderen Ratsherren, was das bedeutete. Brüder konnten nur dann beide Mitglieder des Rates sein, wenn einer im alten und der andere im sitzenden Rat war. Sollte Albert also tatsächlich Mitglied des sitzenden Rates werden, ginge das gleichsam mit seiner eigenen Verdrängung aus dem Kreis der Assumpti einher oder bedeutete gar seinen gänzlichen Ausschluss. Es gab keinen Zweifel daran, welche der beiden Möglichkeiten Bertram Schele bevorzugte. Wütend wetterte der Ratsmann weiter und vervollständigte seine Ausführungen.
»Auch wenn das Testament Eures werten Vaters rechtskräftig ist, wird mich das nicht davon abhalten, die falsche Auslegung seiner Worte anzufechten, wenn es sein muss.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, richtete er den Blick nun auf die Bürgermeister und bekräftigte seine Worte mit heftigem rhythmischem Klopfen auf den Tisch. Nach dem dritten Schlag gesellte sich das Klopfen von den Brüdern Helpwin und Thedo von der Mühlenbrücke dazu, dann noch eines und noch eines; bis der Saal vom Klopfen von weit über der Hälfte aller Ratsherren erfüllt war.
Conrad fühlte, wie ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Er konnte nicht fassen, welche Szenerie sich hier abspielte. Nichts war mehr von dem überschwänglichen Gefühl des Morgens übrig.
Mit einem Heben des Arms beendete Esich das Schauspiel. »Genug, werte Herren, genug. Ich sehe die Forderung Bertrams als abstimmungswürdig an.«
Conrad entfuhr ein ungläubiges, einsilbiges Lachen, welches aber von allen ignoriert wurde.
»Wer ist dafür, dass Albert von Holdenstede nach seiner Rückkehr einer der Electi des sitzenden Rates wird?«
Umgehend hob die deutliche Mehrheit der Anwesenden den Arm.
»In Ordnung. Das Ergebnis ist eindeutig, dann sei es beschlossen.«
Conrad kochte vor Wut. Er wusste, dass ein Einspruch seinerseits nur zur Folge hätte, dass es noch offensichtlicher wurde, wie recht sie mit ihren Anschuldigungen hatten. Resigniert sank er tiefer und tiefer in die harte Sitzfläche der unbequemen Holzbank und hörte die besiegelnden Worte des Bürgermeisters. »Schreiber, ich wünsche, dass dieser Beschluss schriftlich festgehalten wird und dass zwei von den heute Anwesenden als Zeugen unterschreiben, um die Abstimmung für rechtsgültig zu erklären. Ich denke, dass wir nun zum eigentlichen Thema der heutigen Sitzung kommen können. Jordan, hiermit erteile ich Euch das Wort.«
8
Was, zum Teufel, war das für eine Brühe, die da wieder und wieder aus ihm heraus ins Meer klatschte? Seit drei Tagen hatte Albert nicht richtig gegessen, und doch entleerte sich sein Magen jeden Tag aufs Neue.
In der Mitte des Schiffs wäre das Auf und Ab am schwächsten zu spüren, hatte Arnoldus ihm verraten. Seither hatte er diesen Platz an Deck fast nicht mehr verlassen.
Der Schiffsherr hatte als Einziger wenigstens versucht ein bisschen Verständnis für Alberts Zustand aufzubringen. Das konnte man vom Rest der Besatzung allerdings nicht behaupten. Wie schon so oft in den letzten Tagen hörte er erneut höhnische Stimmen hinter sich. Um nicht allzu lächerlich zu wirken, versuchte er seinen zusammengesackten Körper wenigstens ein bisschen aufzurichten. Albert wusste, was man über ihn sagte. Er sei eine verweichlichte Landratte, der Sohn eines Kaufmanns, und somit das harte Leben nicht gewohnt. Dass sie ihn wegen seiner Übelkeit belächeln konnten, schien ihnen ein gerechter Ausgleich für die große Kluft zwischen ihren beiden Welten zu sein.
Wäre Albert nur halb so elend zumute, hätte er sicher etwas Ähnliches wie Wut auf das Gelächter der Schiffsbesatzung empfunden. Oder
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