Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
St. Jacobi und St. Nikolai. Als Letzte kam noch die Kirche St. Katharinen hinzu. Und so sind die vier Kirchspiele Hamburgs entstanden, über die der Dom schützend seine Hände hält – wie eine Mutter eben.« Um ihren Worten Lebendigkeit zu verleihen, hielt Hilda lächelnd ihre Handflächen über die Köpfe Runas und Margas. »Habt ihr das verstanden?«
Beide Mädchen nickten eifrig.
Während Hilda den Mädchen weitere Geschichten über den Dom und die Pfarrkirchen erzählte, schweiften Ragnhilds Blick und auch ihre Gedanken zu dem Turm über dem steinernen Eingangsportal. Danach wanderten ihre Augen wieder hinab zu dem dahinterliegenden Langhaus. Überall wurde geklopft und gehämmert. Dafür, dass es Winter war, arbeiteten erstaunlich viele Männer dort in schwindelerregender Höhe. Sobald ein paar Sonnenstrahlen herauskamen, sah und hörte man, dass der Bauherr seine Männer gnadenlos auf die halbfertigen Seitenschiffe zwang. Domdekan Sifridus musste ein sehr strenger Auftraggeber sein, fuhr es Ragnhild durch den Kopf. Schon oft hatten sie und Albert hier innegehalten, um eine Weile bei den Arbeiten zuzuschauen. Bei dieser Gelegenheit ließ er sie häufig an seinem Wissen über die mächtigen Herren der Domimmunität teilhaben, welches er zumeist dem Geistlichen verdankte, der Conrad und ihn im Kindesalter unterrichtet hatte. Keine der Geschichten vermochte Ragnhilds angeschlagene Meinung über die Kirchenmänner zu bessern.
Das Domkapitel besaß neben dem Rat der Stadt und den Grafen von Holstein und Schauenburg den größten Einfluss auf Hamburg. Immer wieder versuchten alle drei Parteien ihre Macht zu vergrößern, und die Domherren hatten eine gute Waffe zur Hand. Sie verteidigten ihre Macht durch das gezielte Einsetzen von Mitarbeitern – den Vikaren der Pfarrkirchen –, welche für die Ausübung der Seelsorge und der Leitung ihrer in den Dom inkorporierten Pfarrkirchen zuständig waren. Ihnen zur Seite standen Kapläne, die ebenfalls vom Domkapitel eingesetzt wurden. Bei der Wahl beider gab es keinerlei Mitspracherecht für die Hamburger. Allein die Domherren entschieden, wer zu welcher Zeit ein- oder abgesetzt wurde; und sie entschieden unnachgiebig. Konnte ein Pfarrvikar seine Abgaben nicht pünktlich zahlen, musste er gehen. Das Einkommen der Pfarrvikare hingegen war abhängig vom Volk. Durch Seelenmessen und Gaben, die von den Gläubigen vor der Messe auf den Altar gelegt wurden, sicherten sie sich ihr tägliches Brot. Dieses Einkommen war üppig, doch sie durften es nicht vollständig behalten. In regelmäßigen Abständen hatten sie eine pensio an das Domkapitel zu entrichten, die den Pfründen der Domherren diente, und sie hatten ebenso für die Ausgaben der Kapläne zu sorgen. So profitierte das Domkapitel von allen vier Pfarrkirchen und behielt zudem auch noch eine gewisse Kontrolle über die sonst eigenständig agierenden Pfarreien.
Die Pfarrvikare selbst waren äußerst selten hochgebildete Leute; was sich sehr wohl in der Qualität der Ausübung ihrer Pflichten bemerkbar machte. Häufig bekleideten sie bereits ein Amt im Domkapitel und übten das Amt des Pfarrvikars nur als Zwischenamt aus, auf dem Weg zu einer besser dotierten Stelle.
Der Pfarrvikar von St. Petri war weder ein studierter Geistlicher noch dem einfachen Volk sonderlich zugetan. Er ließ keine Gelegenheit aus, die Gläubigen seines Kirchspiels auf ihre Verderbtheit zu stoßen, und nicht selten arteten die Messen in furchteinflößende Anklagen aus. Besonders die Frauen waren Ziel seiner wutgeschwängerten Predigten und hatten sich besser vorzusehen. Schließlich waren sie doch der Grund allen Übels, da Eva für die Vertreibung aus dem Paradies verantwortlich zu machen war.
Auch Ragnhild empfand den Pfarrvikar von St. Petri häufig als beklemmend streng; ohne Zweifel war er viel strenger als die Vikare der anderen Pfarrkirchen. Doch alles Hadern half nichts, sie hatte sich mit ihm abzufinden. Obwohl sein eigentlicher Titel sacerdos lautete, wurde er vom Volk nur Vater Lambert genannt. Allein der Gedanke an seinen Namen ließ Ragnhild sich innerlich schütteln. Heute aber, das hatte sie sich fest vorgenommen, wollte sie sich den Tag nicht von ihm verderben lassen. Zu sehr freute sie sich darüber, endlich wieder hinausgehen zu können, und nicht minder freute sie sich auf das anschließende Beisammensein am Feuer in Hildas und Margas Hütte.
Plötzlich entdeckte Ragnhild ihre Nachbarin Hildegard von Horborg und nickte
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