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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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vorbeigegangen waren, erkannte Ragnhild das hässliche Gesicht von Ingrid von Horborg, deren Stiefmutter sie noch eben vor der Kirche angetroffen hatte. Ihre Blicke trafen sich nur kurz, gleich darauf senkte Ingrid schnell den Kopf. Ragnhild überlegte flüchtig, ob sie zurückgehen und sich nach ihrem Befinden erkundigen sollte. Doch als sie sich der genauen Umstände der gescheiterten Hochzeit zwischen Ingrid und Albert gewahr wurde, schüttelte sie den Gedanken wieder ab. Sie selbst trug Mitschuld an Ingrids einsamem Schicksal. Wäre es damals andersherum gewesen, so hätte Ragnhild sicher auch nicht mit ihr sprechen wollen. Darum ging sie einfach weiter und bemerkte so auch nicht den feindseligen Blick, den die Begine ihr heimlich zuwarf.
    Ingrid schaute so gebannt auf ihre Feindin, dass ihre Augen sich bedrohlich verengten, bis nur noch zwei kleine Schlitze zu sehen waren und eine tiefe Falte sich auf ihrer Stirnmitte gebildet hatte. Der Hass in ihren Augen war beängstigend und heftete sich unbemerkt auf Ragnhilds Rücken.
    Die Freundinnen bogen in die schmalen Gassen zwischen den ärmlichen Fischerhütten ein. Der beißende Geruch in der Luft hätte auch einem Blinden verraten, wo genau sie sich befanden.
    Ragnhild sah eine ältere Frau mit einem übergroßen Korb die Gasse entlanglaufen. Ein Mann kam ihr entgegen und erleichterte sie um die schwere Last. Es schien sich um ihren Ehemann zu handeln. Sofort war Ragnhild mit den Gedanken wieder bei Albert. Sie fragte sich zum unzähligsten Male, wo er gerade weilte und wie es ihm in den letzten Wochen wohl ergangen war. Doch sosehr sie auch grübelte, die Gewissheit darüber würde sie erst mit seiner Rückkehr erhalten. Sie schaute verstohlen zu Hilda hinüber, die auch einst einen Mann gehabt hatte. Ragnhild versuchte sich die beiden zusammen vorzustellen, doch der Gedanke war ihr einfach zu fremd. Niemals hatte sie Hilda mit einem Mann auch nur vertraulich reden sehen.
    Hilda bemerkte den Blick ihrer Freundin und stieß sie neckisch in die Seite. »Was beobachtest du mich so heimlich?«
    Ragnhild senkte schuldbewusst den Blick und winkte lächelnd ab. Sie fühlte sich ertappt. Zum Glück erwartete Hilda offenbar keine Antwort. »Gleich machen wir uns ein schönes Feuer und wärmen uns Hände und Füße. Runa, mein Schatz, hast du Lust, mir dabei zu helfen? Du könntest …« Hilda stockte mitten im Satz. Sie schaute auf eine kleine Ansammlung von Männern und Burschen, die, nicht weit von ihnen entfernt, aufgeregt durcheinanderredeten. »Was ist da drüben wohl los?«, fragte sie in die Runde.
    Die Frauen blieben stehen und sahen, wie die Traube von Neugierigen immer größer wurde. Aufgeregtes Gemurmel quoll herüber. Alle redeten durcheinander.
    Hilda löste sich von den Jüngeren und steuerte direkt auf einen kleinen dreckigen Jungen zu. Seinem Geruch nach zu urteilen, war er der Sohn eines Fischers. »Junge, erzähle mir, was geschehen ist. Was wird hier geredet?«
    Der Junge erkannte gleich, dass Hilda eine von ihnen war, und begann zu sprechen. »Fahrende Händler sind heute aus den Friesenländern in die Stadt gekommen. Sie erzählen überall, dass da, wo sie hergekommen sind, Strandgut gefunden wurde. Ziemlich viel Strandgut sogar. Es heißt, ein Schiff ist im letzten Sturm gesunken.«
    Hilda brauchte etwas Zeit, um die Bedeutung der Worte zu verstehen. Plötzlich schlug sie die Hände vor den offenen Mund. Ihr Verstand wusste, dass viele Schiffe aus vielen verschiedenen Städten auf den Meeren unterwegs waren. Auch war es nicht ungewöhnlich, dass ein Sturm das ein oder andere an die Küste spülte, ohne dass unmittelbar zuvor ein Schiff gesunken war. Und dennoch brachte sie das Gesagte sofort mit Albert in Verbindung.
    »Ein Schiff, sagst du? Wo, Junge! Wo wurde das Strandgut gefunden?«, fragte sie erschrocken, während sie ihn bei den Schultern packte.
    »In Rüstringen, dem Land der Friesen. An den Küsten Langwardens, sagen die Leute.«
    Hilda hatte keine Ahnung, wo sich das Land der Friesen genau befand, aber das war in diesem Moment auch gar nicht wichtig. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie beugte sich nun noch weiter hinunter und blickte dem erstaunten Jungen direkt in die Augen. »Wo finde ich diese Händler?«
    »Sie waren auf dem Weg zu den Geldwechslern auf der Trostbrücke. Wenn du schnell gehst, kannst du sie dort vielleicht noch erreichen.«
    Hilda richtete sich auf. Noch während sie überlegte, wie sie Ragnhild dazu bringen konnte,

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