Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
ihr freundlich zu. Sie mochte die stille, aber aufrichtige Art Hildegards und empfand ihre Gegenwart, im Gegensatz zu der ihres Mannes Willekin, als überaus angenehm. Da Hildegard lediglich die Stiefmutter von Ingrid von Horborg war, gab es für sie auch keinen Grund, einen Groll gegen Ragnhild zu hegen. Das Gegenteil war sogar der Fall. Durch kleine Gesten machte sie immer wieder deutlich, dass sie Ragnhild überaus schätzte.
»Meine Liebe, du bist wieder wohlauf, wie ich sehe. Wie erfreulich«, sprach Hildegard warmherzig. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Wie geht es denn dem doppelten Nachwuchs? Endlich kann ich dir meinen Glückwunsch aussprechen.«
Die freundlichen Worte waren ehrlich gemeint, das spürte Ragnhild sofort. »Vielen Dank, Hildegard. Mir und auch den kleinen Jungs geht es prächtig. Hab Dank dafür, dass du in der Zeit meiner Unpässlichkeit deine Ella zu uns geschickt hast, damit sie unseren Mägden zur Hand geht.« Ragnhild fand es mehr als seltsam, über Hilda als Magd zu sprechen, obschon sie gleich neben ihr ging. Doch in der Öffentlichkeit wurde das so von ihr erwartet.
»Wann erwartest du denn deinen Gemahl zurück?«, erkundigte sich Hildegard.
Diese Frage kam für Ragnhild nicht unerwartet. Ein jeder Kaufmann wusste von Alberts später Flandernfahrt – so auch deren Frauen, die meistens weitaus besser über die geschäftlichen Geschehnisse informiert waren, als ihre Männer es ahnten. »Ich hoffe sehr, dass er bald zurück sein wird«, erwiderte Ragnhild sehnsüchtig, »doch nur der Herrgott kann wissen, wie nah oder fern er der Heimat in diesem Moment wohl ist. Ich kann nur darum beten, dass es dort, wo er sich vor drei Tagen befand, besseres Wetter gegeben hat als hier.«
Die Frauen blickten sich wissend an. Ein Sturm mit der Stärke des vergangenen Unwetters war sehr gefährlich, wenn man sich dabei auf See befand. Mit einem aufmunternden Lächeln beendete Hildegard das Gespräch, denn in diesem Moment erreichten sie das Portal von St. Petri.
Zusammen mit den anderen Gläubigen zwängten sie sich hindurch. Dieser Augenblick hatte immer etwas Geheimnisvolles an sich; selbst die eher glaubensschwache Ragnhild konnte es fühlen. Sobald die Menschen in die Kirche schritten, verstummten viele von ihnen und schauten ehrfürchtig in Richtung Altar. Die Vertrautheit der Gemäuer, gepaart mit der Ehrfurcht vor Vater Lambert, verfehlte ihre Wirkung nie.
Ragnhilds Augen mussten sich erst an die Dunkelheit im Inneren der Kirche gewöhnen. Dann offenbarte sich ihr das so vertraute Bild. Überall hingen verlassene Spinnweben. Der Boden war über und über mit dem Sand der Straßen bedeckt, welcher zu Schlamm wurde, wenn es draußen regnete. Die bemalten Wände des schlichten Ziegelbaus waren rußgeschwärzt, und durch die ebenfalls geschwärzten Fenster drang kaum mehr ein Lichtstrahl. Der einzige Ort der Kirche, welcher im Licht lag, war der heilige Bereich genau gegenüber dem Eingang. Hinter dem Altar erstrahlte die im Osten aufgehende Sonne und beleuchtete so diesen Teil der Kirche. Der Altar selbst war mit bestickten Altartüchern, zwei großen Kerzen und natürlich dem Altarkreuz geschmückt, welches hoch erhoben für alle Gläubigen sichtbar sein sollte.
Wie alle Kirchen der Stadt war auch St. Petri nach Osten ausgerichtet. Schon oft hatte Ragnhild Vater Lambert predigen hören, dass die sündigen Menschen von der Dunkelheit des Westens ins Licht des Ostens gingen und nur hier von Gottes Gnade erleuchtet werden konnten. Sie mochte diesen Vergleich. Er war passend und viel einfacher zu verstehen als das meiste, was Vater Lambert predigte.
Kaum hatte sie einen Fuß in die Kirche gesetzt, schlug ihr auch schon der so vertraute, etwas moderige Geruch entgegen. Es war eine Mischung aus Feuchtigkeit und Weihrauch, welcher ausschließlich an den hohen Feiertagen verbrannt wurde, und den Ausdünstungen der Gläubigen, die hier täglich beteten.
Wie immer war es kalt im Inneren, und schon jetzt wusste Ragnhild, dass sie in Kürze völlig durchgefroren sein würde. Kaum hatte Vater Lambert zu reden begonnen, fing sie auch schon an zu zittern. Glücklicherweise erschien ihr die Messe heute irgendwie kürzer zu sein als sonst, und wider Erwarten überfiel sie auch nicht schon nach wenigen Augenblicken die Langeweile. Fast spöttelnd gestand sie sich ein, dass es ihr wohl gutgetan hatte, während der Zeit ihrer Krankheit eine Kirchenpause eingelegt zu haben. Sofort nachdem sie das
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