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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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allein zu ihrer Hütte zu gehen, damit sie unbemerkt die Händler suchen konnte, fühlte sie ein kaltes Schaudern auf dem Rücken. Sie wusste, es war Ragnhild, die sich ihr unbemerkt genähert hatte, und sie wusste auch, dass sie die Worte des Jungen gehört hatte. Voller Angst vor dem Gesicht ihrer Freundin drehte sich Hilda um.
    Zwei schockgeweitete Augen starrten sie an und füllten sich langsam mit Tränen.
    Hilda hatte Ragnhild an der Hand gepackt und zerrte sie durch die halbe Stadt. Runa hatten sie in Margas Obhut zurückgelassen. Das kleine Mädchen hatte die Angst der Mutter gespürt und bitterlich angefangen zu weinen. Doch Ragnhild hatte das Zerren an ihrem Rock und die Rufe ihrer Tochter nicht mehr wahrgenommen. Willenlos ließ sie sich von Hilda mitziehen.
    Sie liefen die Steinstraße hinunter, vorbei an der Petrikirche, über den Marktplatz, in die Pelzerstraße, nach rechts am Rathaus vorbei und schließlich über das Reichenstraßenfleet und den Ness hinunter in Richtung Hafen auf die Trostbrücke zu. Gerade noch rechtzeitig kamen sie an. Schon von Weitem erkannten sie die Menschenansammlung, die die fremdländisch gekleideten Händler umringte.
    Die Männer mit ihren Waren kamen tatsächlich aus den entfernten friesischen Seeländern. Wie alle ihresgleichen trugen sie Neuigkeiten aus den bereisten Gebieten bereitwillig weiter. Je schauriger die Geschichten, umso mehr Menschen wurden angelockt. Waren diese dann erst einmal um ihren Wagen versammelt, so schien kein Mittel zu liederlich, um die feilgebotenen Waren loszuwerden.
    Doch heute wollten die Leute nicht kaufen. Erschrocken standen sie vor den Händlern und lauschten den reißerischen Worten.
    »Nie zuvor, liebe Leute, hat es einen solchen Sturm gegeben. Wellen, so hoch wie euer prachtvolles Rathaus, und Blitze so hell, dass sie einem das Augenlicht nehmen konnten. Das und Schlimmeres erzählen sich die Schiffer, die das Unwetter überlebt haben!« Der fahrende Händler ruderte wild mit den Armen und riss die Augen weit auf, bis sie fast kugelrund aus ihren Höhlen traten. Er war es sichtlich gewohnt, schreckliche Geschichten zu erzählen. Gekonnt setzte er die Kraft seiner Marktschreierstimme ein, die alle Umherstehenden sogleich in ihren Bann zog. »Aber ich sage euch, nicht alle Seeleute teilen das Glück der Überlebenden. Mindestens eine Kogge samt Besatzung ist dem Wüten des Sturms zum Opfer gefallen und liegt nun auf dem schwarzen, kalten Meeresgrund.«
    In diesem Moment durchbrach Hilda endlich die dicht gedrängte Mauer der Zuhörer. Sie hatte genug von den vermaledeiten Reden des Mannes. Forsch fragte sie: »Woher wisst Ihr so genau, dass ein Schiff untergegangen ist?«
    Der Händler blickte sie einen Moment verwirrt an. Dann aber antwortete er etwas hochmütig: »Na, das sagte ich doch schon. Von den überlebenden Schiffern.«
    »Habt Ihr sie getroffen? Was sagten sie? Haben sie das Schiff, von dem Ihr sprecht, mit eigenen Augen untergehen sehen?«
    »Nein, das nicht …«
    Sofort erhob sich ein empörtes Gemurmel unter den Zuhörern. Sie waren wankelmütig. Ihr Zuspruch konnte genauso leicht verloren gehen, wie sie ihn gewährten.
    »Woher wisst Ihr es dann, Händler?«, fragte Hilda weiter.
    »Es wurden Schiffsteile gefunden. Planken und Kisten und Fässer.«
    »Das ist nicht ungewöhnlich nach einem Sturm. Schon mehrfach hat die See in solchen Nächten etwas angespült. Mein verstorbener Gemahl hat mir häufig davon erzählt, nachdem er fischen war. Und woher wollt Ihr wissen, dass es sich um eine Kogge gehandelt hat?«
    Der Händler spürte, dass die Menschen immer misstrauischer wurden. Einige von ihnen verließen sogar schon seinen Wagen. Er musste diesem störrischen Weib etwas entgegensetzen, bevor er seine gesamte Kundschaft verlor.
    »Gute Frau, ich bin mir sicher, dass Euer Gemahl niemals Teile eines Kompasses und eines Heckruders gefunden hat.« Dieser Satz verfehlte seine Wirkung nicht – bewies er doch, dass es sich tatsächlich um eine Handelskogge gehandelt hatte. Jene Leute, die sich eben noch abgewandt hatten, kamen nun zurück und lauschten wieder aufmerksam. Es war klug gewesen, sich diese Information bis zum Schluss aufzusparen. »Ja, ihr habt richtig gehört«, setzte der Händler nun nach. »Es waren zerborstene Teile einer Handelskogge, die angespült wurden. Einer Kogge, wie sie täglich in eurem Hafen liegt.« Zufrieden stellte der Mann fest, dass die Menge wieder gespannt zu ihm aufblickte. Normalerweise

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