Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Meinung nach sicherlich Teufelszeug gewesen.
»Der Fisch ist kugelrund, so wie mein Bauch.« Mit aufgeblasenen Backen rieb sich Ragnhild ihre Mitte. »Außerdem hat er rote, blaue und grüne Schuppen, und seine Flossen sind gelb wie Sonnenblumen. Das Beste aber ist, dass er wunderschön singen kann«, erzählte die Schwangere mit übertriebenen Gesten.
Runa bekam große Augen. Es war deutlich zu sehen, wie sie sofort versuchte, sich den Fisch vorzustellen. Das kleine Mädchen fing an, ihre Mutter mit Fragen über diesen wundersamen Fisch zu löchern, und Ragnhild beantwortete geduldig jede einzelne. Sie war froh, dass ihre Erzählungen die vorher noch lustlose Runa jetzt ablenkten und sie zügiger durch das schlechte Wetter laufen ließen.
Mutter und Tochter stapften die Reichenstraße bis zum Ness entlang und ließen die Rolandbrücke zu ihrer Rechten an sich vorbeiziehen. Gleich hinter der Brücke war die Rolandsäule zu erkennen, an der regelmäßig Gericht unter freiem Himmel abgehalten wurde. Ragnhild spürte, wie sich ein Schaudern auf ihrem Rücken ausbreitete. Der Anblick des steinernen Ritters weckte Erinnerungen an die vielen vergangenen Verhandlungstage, an denen teilweise furchtbare Strafen verhängt worden waren. So manchem Dieb war hier die Hand oder ein Finger abgehackt, so manchem Verräter die Zunge herausgerissen, so manch ungehorsamem Knecht ein Ohr abgeschnitten und so manchem Fälscher das Gesicht gebrandmarkt worden. Noch immer klangen ihr die Schreie dieser Männer und Frauen in den Ohren, von denen einige gar einen grausamen Tod erlitten hatten. Bisher hatte sie Runa verbieten können, bei der Verhängung und der Ausübung der Strafen dabei zu sein, und Ragnhild hoffte inständig, dass ihr kleines Mädchen noch lange Jahre von dem Anblick geschundener Leiber verschont bleiben würde.
Wenige Schritte nach der Rolandbrücke bogen sie links in die Brotschrangen ein. Hier war der Markt der Bäcker aus der Bäckerstraße. Doch heute standen keine Schrangen mit köstlich duftenden Backwaren an der Straße. Bei diesem Wetter bevorzugten es die Meister, ihre Waren direkt aus den Fenstern ihrer Wohnhäuser in der Bäckerstraße zu verkaufen.
Ihr Ziel lag nun in Sichtweite vor ihnen. Wo die Straßen eben noch einsam und verlassen gewesen waren, bot sich hier nun ein Bild regen Getümmels. Die freie Fläche am Hafen diente bereits seit einigen Jahren als Marktplatz, doch erst seit die Schiffe flämischer, englischer, holländischer und friesischer Händler hier regelmäßig anlegten, hatten die drei anderen Marktplätze auf dem Berg vor der Petrikirche, südlich des Doms und an der Kirche St. Nikolai erheblich an Bedeutung für die Hamburger eingebüßt.
Ragnhild hielt Runa fest an der Hand. Viele der Seeleute waren raue Kerle. Es wurde gedrängelt und geschubst; kleine Kinder konnten da schnell übersehen werden. Anscheinend hatten viele der Fischer am frühen Morgen einen guten Fang gemacht, denn an den Anlegeplätzen drängte sich bereits ein Schiff neben das andere. All jene Schiffe, die keinen Anlegeplatz mehr bekommen hatten, wurden durch kleine hölzerne Schuten entladen, welche zwischen ihnen und dem Hafen hin- und herfuhren. Taue wurden geworfen, um die Schiffe am Kai zu befestigen, Segel ein- und Planken hervorgeholt, um die Säcke und Kisten aus ihren dicken Bäuchen an Land zu bringen. Die Befehlshabenden der Schiffe standen inmitten der herumlaufenden Männer und fuchtelten wild mit den Fäusten, während sie in vielen Sprachen ihre wüsten Befehle brüllten. Es herrschte ein beißender Gestank aus Schweiß und Fisch, der sich mit der regengeschwängerten Luft zu vermischen schien und sich wie ein dicker Schleier über das geschäftige Treiben legte.
Ragnhild mochte die Atmosphäre am Hafen nicht besonders. Sie fühlte sich schutzlos zwischen all den groben Männern, und auch die jahrelange Verachtung aufgrund ihrer Herkunft hatte ihre Spuren hinterlassen.
Runa hingegen schien jedes Mal fasziniert von dem Fischmarkt und dem Hafen zu sein. Sie war, trotz ihrer jungen Jahre, ohne Furcht.
Häufig beneidete Ragnhild ihre Tochter um diese Eigenschaft. Gerne wäre auch sie stark und mutig gegenüber allen Bedrohungen und Anfeindungen, doch davon war sie bislang weit entfernt. Sie hoffte inständig, mit der Geburt ihres zweiten Kindes nochmals an Ansehen und Stärke zu gewinnen und es so etwas leichter zwischen den Damen Hamburgs zu haben, die so sehr auf sie herabsahen – vielleicht
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