Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
weiterleben sollte. Mit fahrigen Bewegungen faltete sie den Trauerschleier, um ihn in ihrer Truhe zu verstauen, als es plötzlich an ihrer Kammertür klopfte. Bevor sie den Eintritt verwehren konnte, stand ihre Schwägerin Heseke schon im Raum.
Die kleine dicke Frau mit der etwas zu braunen Haut hatte den Mund bereits geöffnet, um etwas zu sagen, als sie abrupt stehen blieb und bei Luburgis’ Anblick die fleischigen Hände vor den Mund presste.
Luburgis wandte sich noch ab, doch es war zu spät.
Nach einem Moment des Schweigens ging Heseke auf die Geschundene zu und fasste sie noch immer wortlos an den Händen. Beide Frauen wussten, was die andere dachte. Es waren keine Worte nötig, um zu klären, dass Conrad für die Verletzungen verantwortlich war. Die Frauen waren, trotz ihrer Verwandtschaft, nie besonders enge Freundinnen gewesen. Ganz im Gegenteil. Die forsche und lebhafte Art von Heseke stand stets im starken Kontrast zu der frommen, fast steifen Art von Luburgis. Doch der Anblick des zerschlagenen Gesichts ihrer Schwägerin erweichte Hesekes Herz. Sie führte die verheulte Luburgis zu einem Schemel in der Ecke und setzte sie darauf.
Dann brach es plötzlich aus Luburgis heraus. Ohne Aufforderung fing sie an zu erzählen. So unendlich dankbar war sie für die winzigen zärtlichen Gesten Hesekes, dass ihr Schluchzen immer verzweifelter wurde. Noch niemals in ihrem Leben hatte sie sich so sehr geschämt wie jetzt, da sie mit umständlichen Worten versuchte, ihrer Verwandten von den Ereignissen der letzten Tage zu berichten. Heseke saß ihr gegenüber auf der Bettstatt der Eheleute und hielt während der ganzen Zeit ihre Hand. Als Luburgis merkte, dass das Interesse ihrer Schwägerin echt war, gab es für sie kein Halten mehr. Zum ersten Mal seit langer Zeit vertraute sie sich jemandem an, und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Sie redete unter Tränen, bis Heseke alle Ereignisse des grausamen Morgens und die des Tages darauf wusste. Ihre Einsichten bezüglich Ragnhild behielt sie allerdings für sich. Niemals würde sie darüber reden können, dass sie diesen Emporkömmling beneidete. Das wäre ihr sogar noch weit unangenehmer, als die intimen Einzelheiten zu erzählen, die im Ehebett passiert waren. Als sie geendet hatte, blickte sie auf und schaute direkt in das mitleidvolle Gesicht Hesekes.
»Wie konnte er das nur tun? Es ist großes Unrecht, was dir widerfahren ist«, sprach Heseke kopfschüttelnd. Dann blickte sie Luburgis direkt in die Augen und fragte auffordernd: »Was hast du nun vor?«
Verblüfft fragte Luburgis: »Was ich nun vorhabe? Was meinst du? Es gibt nichts, das ich tun kann. Er ist mein Ehemann.«
»Was soll das heißen?«, konterte Heseke angriffslustig. »Schau dich doch an. Willst du einfach ausharren, bis er noch einmal einer solchen Laune verfällt? Wenn Johannes das mit mir gemacht hätte, dann …«
Luburgis unterbrach ihre Verwandte. »Dein Ehemann ist anders als Conrad. Er ist sanftmütig und … und er schätzt und achtet dich, Heseke. Du bist nicht in meiner Lage.«
Die resolute Schwägerin ignorierte die Anmerkungen über ihren Mann und fragte: »Soll das heißen, du wirst dir diese Behandlung einfach gefallen lassen?« Ungläubig stemmte sie ihre dicken Arme in die Hüften und legte den Kopf schief. Auch wenn sie keine engen Freundinnen waren, schien sie absolut nicht gewillt zu sein, einer so offensichtlichen Ungerechtigkeit an einer Frau in ihrer Familie tatenlos zuzusehen.
Luburgis fing erneut an zu schluchzen und sagte: »Was soll ich denn tun? Er hat doch recht mit dem, was er sagt.«
»Was redest du denn da, Luburgis?« Heseke nahm sie sanft an den Schultern und wollte ihr in die Augen sehen, doch die Geschundene wehrte sich, indem sie verzweifelt die Hände rang, und sagte: »Ach, Heseke, ich bin nicht fähig, ihm Nachkommen zu schenken. Mein Körper kann die Leibesfrucht nicht behalten. Selbst wenn ich ein Kind empfange, stirbt es, noch bevor es in mir heranwachsen kann. Irgendwann wird er mich verstoßen!« Sie vergrub ihr angeschwollenes Gesicht trotz der Schmerzen in den Händen und weinte nun wieder bitterlich.
Heseke streichelte ihr die bebenden Schultern und redete weiter beruhigend auf sie ein. Sosehr es sie auch grämte, aber gegen dieses Argument konnte sie nur schwerlich etwas sagen. Auch wenn Kinderlosigkeit noch lange kein Grund war, seine Frau zu prügeln, geschah es doch häufiger, als man annehmen wollte, dass Männer in einer solchen
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