Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Geradezu gelechzt hatte sie danach, von Conrad befruchtet zu werden, doch sie konnte ihre Bestimmung nicht erfüllen. Hin- und hergerissen zwischen dem Hoffen und Bangen, welches ihre Schwangerschaften und anschließenden Fehlgeburten mit sich brachten, war sie mit der Zeit immer mutloser geworden. Sie hatte sich eingeredet, dass Conrad ihren Schmerz über die Kinderlosigkeit verstand und mit ihr fühlte, doch dieser Gedanke erwies sich heute als töricht. Auch wenn sie wusste, wie wichtig es für einen Mann war, einen Sohn zu haben, war sie zutiefst überzeugt gewesen, dass er gesehen haben musste, wie sehr sie litt und wie viel sie für die Erfüllung dieses Wunsches gebetet hatte. Jetzt wusste sie, dass sie sich all die Jahre geirrt hatte. Mit seinen Schlägen und seinen harschen Worten hatte er sie jeder Vorstellung beraubt, dass er sie wenn schon nicht als Mutter, so doch als seine Ehefrau schätzte. Die Erkenntnis über die Wahrheit ihrer Ehe traf sie mit voller Wucht. Alles, dessen sie sich vor wenigen Tagen noch sicher gewesen war, schien heute völlig ungewiss. Seit Tagen fragte sie sich, ob er sie womöglich verstoßen oder sich eine Geliebte nehmen und im schlimmsten Fall einen Bastard als sein legitimes Kind annehmen würde. Die Angst davor, auf diese Weise gedemütigt zu werden, brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht.
Sie blickte auf ihr Leben zurück, als wäre es nicht das ihre. Schlag auf Schlag folgte eine Erkenntnis der anderen. Wie hatte es so weit kommen können, und wo hatte ihr Unglück begonnen? Luburgis musste nicht lange überlegen. Ragnhild war der Grundstein allen Übels! Seitdem Luburgis selbst durch die Heirat mit Conrad in das Haus der von Holdenstedes gekommen war, hatte sie das Waisenkind leidenschaftlich verachtet. Gründe dafür gab es genug. Ragnhild war ohne Stand geboren und noch dazu eine Dänin! Sie empfand es als eine Zumutung, mit einer solchen Frau unter einem Dach leben zu müssen. Doch dabei war es ja nicht einmal geblieben. Dieses Weib lehnte sich gegen die gottgewollte Ordnung auf und hatte sich so in die obersten Reihen der Hamburger Bürgerschaft eingeschlichen. Durch ihre Hochzeit mit Albert wurde Ragnhild aus der Knechtschaft in den Bürgerstand erhoben, und Luburgis konnte damals nur ungläubig zugucken. Unzählige Male hatte sie sich darüber bereits brüskiert, und sie hätte es wohl in diesem Augenblick erneut getan, wenn ihr nicht schlagartig etwas klar geworden wäre. All die Jahre hatte es Luburgis auf Schritt und Tritt verfolgt, ohne dass sie es bemerkt hatte. In diesem Moment aber war ihr Blick klar, und sie verstand, worin der eigentliche Grund für ihren Hass auf Ragnhild lag.
Es waren die verstohlenen Blicke, die heimlichen Berührungen, das ausgelassene Lachen der Verliebten. Ragnhild und Albert liebten sich mit so unverschämter Heftigkeit und so offensichtlich, dass Luburgis gar nicht anders konnte, als die Schwägerin zu hassen. Dieses Weib hatte alles, was Luburgis sich wünschte, denn sie lebte in einer Ehe aus Liebe. Ihre eigene Ehe hingegen war von Anfang an zur Festigung der Verbindung beider Familien arrangiert gewesen. Viele Ehen entstanden so, und Luburgis hätte damit leben können, wenn sie nicht täglich das pure und unverdünnte Glück direkt vor ihrer Nasenspitze gehabt hätte.
Um sich selbst zu schützen, flüchtete sie sich in eine allzu strenge Glaubensauslebung, verurteilte jeden Moment der Ausgelassenheit als Gottlosigkeit und tadelte Ragnhild, wo immer sie nur konnte.
Aber wohin hatte sie das gebracht? In diesem Moment, allein in der Kammer, hatte sie das Gefühl, seit Jahren nicht mehr glücklich gewesen zu sein. Sie hatte sich so sehr darauf konzentriert, Ragnhild zu hassen, dass sie vergessen hatte, was es hieß, selbst froh zu sein.
Alles fügte sich mit einem Mal zusammen. Es überkam sie wie einer von Conrads Fausthieben; sie hatte Ragnhild ihr ganzes Eheleben lang nicht gehasst, sondern vielmehr beneidet! Selbst jetzt, da Ragnhilds Mann tot im Land der Friesen und sie als Witwe in Trauer weilte, beneidete Luburgis ihre Schwägerin noch. Sie neidete ihr, all das Glück der Jahre zuvor erfahren zu haben, die Kinder, welche die Frucht von echter Liebe waren, und selbst die Trauer, die so aufrichtig war, weil sie den ihr vor Gott angetrauten Ehemann von ganzem Herzen geliebt hatte.
Luburgis wusste nicht, wie sie dieses trostlose Leben so lange hatte aushalten können, und sie wusste genauso wenig, wie sie es in Zukunft so
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