Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
angesehene Bürgersfamilie die andere bei der Messe nicht mehr grüßte.
Boshaft lächelnd sagte sie zu ihrer Schwägerin: »Trockne deine Tränen, Luburgis, und setze deinen Schleier wieder auf. Glaube mir, es gibt keinen Grund für dich zu weinen. Deine Wunden werden heilen, und so sicher wie das Amen in der Kirche, genau so sicher wird auch bald für dich die Sonne wieder aufgehen!«
13
Bereits seit Stunden saßen die Eheleute vom Berge im Schein eines einzigen Talglichtes bei einem Krug Wein zusammen und redeten. Die Erzählungen über die jüngsten Ereignisse im Hause der von Holdenstede hatten Heseke aufgewühlt, doch sie wollte sich das nicht anmerken lassen. Nur eine leichte Blassgesichtigkeit zeugte davon, dass ihr nicht ganz wohl war. Dennoch ließ sie kein Detail aus und berichtete ihrem Mann möglichst lebhaft von dem zerschlagenen Gesicht seiner Schwester.
Johannes hatte aufmerksam zugehört, doch auch wenn es ihn sichtlich traf, Luburgis solchen Brutalitäten ausgesetzt zu wissen, konterte er dennoch mit dem Recht des Mannes, seiner Frau mit Züchtigung Benehmen beibringen zu dürfen. Gleich darauf musste er sich jedoch einen Narren gescholten haben, denn er hätte wissen müssen, dass dieses Argument die brüske Heseke bloß dazu veranlasste, ihn mit bösen Blicken und entsprechenden Worten zu strafen.
»Wie kannst du nur so reden?«, donnerte Heseke wütend und musterte ihn dabei verächtlich. »Ich spreche nicht von Züchtigung, sondern davon, dass Conrad sein Weib grün und blau geprügelt hat. Ihr Gesicht ist kaum wiederzuerkennen. Das kann man wohl kaum als Züchtigung bezeichnen. Wir müssen Conrad Einhalt gebieten.«
Johannes war es gewohnt, von Heseke getadelt zu werden. Darum sagte er die folgenden Worte ohne jede Schärfe und mit Blick in seinen Wein. »Mäßige dich, Frau. Ich habe nicht gemeint, dass Conrads Verhalten ungesühnt bleiben muss. Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit werde ich meinem Schwager einen Besuch abstatten und mit ihm …«
»Reden?«, beendete Heseke den Satz ihres Mannes ungläubig. »Das ist nicht genug. Du verstehst offenbar nicht, dass es nicht bloß um Luburgis geht. Der Zwietracht zwischen ihr und Conrad könnte im schlimmsten Falle unsere gesamte Sippe, die Familie vom Berge, mitten ins Herz treffen.«
Johannes schaute auf. Es war seinem Blick anzusehen, dass er ihre Aufregung nicht so recht verstand. »Übertreibst du jetzt nicht etwas, Frau? Die Umstände sind unerfreulich, aber ich sehe nicht, was das mit der gesamten Sippe zu tun hat.«
Heseke atmete tief ein und zwang sich zur Ruhe. Es machte sie manches Mal schier wahnsinnig, dass ihr Gemahl so schwer von Begriff war. Wie schon so oft würde sie ihm auch dieses Mal genau aufzeigen müssen, was ihr schon lange klar war. Mit der Geduld einer Mutter, die ihrem Kind einen Psalm beibrachte, erklärte sie ihm, welch weitreichende Wirkung die Ereignisse auf ihr Ansehen haben könnten, wenn sie nichts unternahmen. Wie immer hatte sie, im Gegensatz zu ihm, die Übersicht über alle vergangenen, derzeitigen und eventuell kommenden gesellschaftlichen Ereignisse.
»Schau nicht nur auf uns, mein Gemahl; schau auf das, was uns zu dem gemacht hat, was wir sind – eine der führenden Kaufmannsfamilien. Seit Jahren schon liefern sich die größten und erfolgreichsten Familien der Stadt ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die besten Aufträge und die besten Heiratsverbindungen. Da gibt es die Ratsfamilien Miles und die von Gardelegen, die von Erteneborg und von Metzendorp, die von Nesse und von Stendal oder auch die von Horborgs und von Salzwedel. Nahezu alle oberen Familien sind bereits durch Heirat miteinander verbunden. Ein jeder versucht Freundschaften mit den Erfolgreichen zu schließen und die weniger Erfolgreichen auszuschließen – ist es nicht so?«
Johannes gab Heseke insgeheim natürlich recht, doch fiel es ihm manchmal schwer, dies auch offen auszusprechen. Mit einem schlichten »Worauf willst du hinaus?« umging er dies geschickt.
Heseke ließ sich nicht beirren. Sie erkannte vor Johannes, welche Möglichkeiten sich hier boten – verstand sie es doch perfekt, aus jeder Situation das Beste für sich und ihre Angehörigen herauszuschlagen. Dieses Spiel bedurfte eines erfahrenen Spielers. Jemandes, der sich mit den Familienverhältnissen anderer Familien ebenso gut auskannte wie mit den eigenen. Vor allen bedurfte es aber jemandes, der alles miteinander zu verknüpfen wusste. Die Liste ihrer
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