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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Situation ihre Ehefrauen verstießen. Hatte die Ehefrau Glück, so besuchte ihr Angetrauter lediglich das Hurenhaus oder nahm sich eine Geliebte und ließ sein Weib weiterhin im Hause wohnen. Wie öffentlich ein solcher Missstand in einer Ehe ausgetragen wurde, hing häufig von der Strenge des unmittelbaren Geistlichen ab. Je nachdem, wie ein Beichtvater es mit der Einhaltung des sechsten Gebotes hielt, wurde die kinderlose Frau entweder durch das geduldete Ersetzen mit einer neuen Frau gedemütigt oder durch ihn beschützt. Mit Vater Lambert hatten die Frauen des St.-Petri-Kirchspiels leider nicht gut lachen. Seine sich ständig wiederholenden Predigten über die Verderbtheit der Frauen ließen keinen Zweifel daran, dass er sich im Zweifel auf Conrads Seite schlagen würde. Beim Anblick der verzweifelten Luburgis überkam Heseke großes Mitleid. Mit dreißig Jahren war ihr Körper zwar gerade noch jung genug, um ein Kind zu empfangen, doch die Jahre, in denen die meisten Frauen ihre Kinder gebaren, waren bei ihr tatsächlich bereits lange vorüber. Grübelnd saß sie der weinenden Luburgis gegenüber. Würde Conrad sie nach so langer Zeit wirklich hinauswerfen?
    Heseke war überaus gescheit. Sie wusste, dass eine solche Schmach auch auf sie zurückfallen würde. Schließlich war Luburgis die Schwester ihres Mannes und sie selbst somit direkt betroffen. Um alles in der Welt musste sie versuchen, das Ansehen derer vom Berge zu beschützen. Da sie selbst in einer angesehenen Bürgersfamilie geboren war, wusste sie nur zu gut, wie nah Aufstieg und Fall in der Bürgerschicht beieinanderlagen. Das Ansehen der eigenen Familie war eigentlich alles, was man hatte, und es entschied über geschäftlichen sowie gesellschaftlichen Erfolg oder Misserfolg. An einem Tag ließen die Damen noch aus lauter Bewunderung deine Kleider nachschneidern, und am nächsten grüßten sie dich nicht einmal mehr bei der heiligen Messe. Doch dieses Schicksal würde Heseke abzuwenden wissen. Sie war sich ihrer Aufgabe bewusst und nahm sie sehr ernst. Das Leben einer Bürgersfrau brachte nämlich neben Haushalt und Kindern noch eine weitere wichtige Pflicht mit sich. Sie repräsentierte die Familie im gesellschaftlichen Leben. Wo die Männer für das Arrangieren von guten Eheverbindungen zuständig waren, mussten die Frauen diese Verbindungen fördern und pflegen. Dies geschah nebenbei. Im täglichen Leben, beim Kirchgang, auf dem Markt, durch Einladungen in das eigene Haus. Es gab viel zu verlieren, und sie hatte weder Skrupel davor, sich in die Angelegenheiten der Männer einzumischen, noch davor, Intrigen zu spinnen, um zum Ziel zu gelangen. Ihr unschuldiges, mütterliches Aussehen kam ihr hierbei oft zugute. Schon häufig hatte sie so die Geschicke der Familie nach ihren Vorstellungen gelenkt. Auch wenn sie es schlau anstellte, sich ihrem Mann untertan zu geben, wusste jeder um sie herum, der nicht blind und taub war, dass sie das heimliche Oberhaupt ihrer Familie war. Ihr Mann Johannes hatte direkt nach der Eheschließung versucht, ihr herrisches Wesen zu bändigen, war jedoch kläglich an seinem Vorhaben gescheitert. Schließlich hatte er aufgegeben und sogar einige Jahre später angefangen, ihren Rat in geschäftlichen Dingen zu schätzen. Irgendwann schloss er gänzlich damit ab, sich dafür zu schämen, sich ihrer Gedanken zu bedienen, obwohl sie nur eine Frau war. Und es funktionierte. Sie beide hatten ein stilles Abkommen. Nach außen verhielt Heseke sich fügsam und umsorgte den Haushalt und ihre beiden Kinder Johannes und Hinricus, und hinter verschlossenen Türen zog ihr Ehemann, der Hamburger Ratsherr Johannes vom Berge, sie bei allen wichtigen Entscheidungen zurate.
    Beide profitierten von dieser Gemeinschaft, und Heseke war sich ihrer außergewöhnlichen und privilegierten Rolle durchaus bewusst. Möglicherweise war sie die einzige Frau weit und breit, die einen solch unerhörten Einfluss auf einen Mann besaß, und sie war bereit, auch jetzt ihren Einfluss geltend zu machen, um Luburgis zu helfen.
    Vielleicht würde es Opfer dabei geben, dachte Heseke bei sich, doch das war für sie akzeptabel. So war das Leben. Die Stärkeren fraßen immer die Schwächeren. Heseke schmiedete im Stillen bereits einen Plan und hegte dabei keinerlei Schuldgefühle. Vielmehr freute sie sich, wie gut alles zusammenpasste. Ja, sie war eine Meisterin auf ihrem Gebiet. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie selbst es eingefädelt hatte, dass eine

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