Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
natürlich ihre Verschleierung, dennoch wusste jeder, dass sie Albert nie besonders nahegestanden hatte, und einige waren offensichtlich überrascht angesichts ihrer derartigen Anteilnahme.
Ihre Frömmigkeit erklärte die Trauerkleidung und auch den Schleier bis zu einem gewissen Grad, doch ihr auffälliges Verhalten erklärte sich dadurch nicht. Luburgis verbrachte kaum noch Zeit mit den Zwillingen, hielt sich nie lange in Gesellschaft auf, ging kaum mehr zum Markt und war auch sonst viel allein. Ihre Anweisungen waren stets knapp, damit niemandem das Lispeln auffiel, welches durch ihren Zahnverlust entstanden war.
Sosehr sie es jetzt auch gebrauchen konnte; es gab einfach niemanden, dem sie sich hätte anvertrauen können. Als Ratsherrenfrau war sie zwar von den Bürgerinnen geschätzt und geachtet, doch eine wirklich enge Vertraute oder gar eine echte Freundin hatte sie noch nie gehabt.
Die Unterhaltungen der Damen, die mit ihren Männern zu Besuch kamen, waren stets oberflächlich und drehten sich eigentlich nur um Handarbeiten und Kinder. Da Luburgis aber keine eigenen Kinder besaß, hielten sich die Damen in ihrer Gesellschaft mit diesem Thema vornehm zurück. Diese Erkenntnis schmerzte Luburgis fast ebenso wie ihre Kinderlosigkeit selbst. Sie wollte kein Mitleid von den Damen. Nein. Alles, was sie wollte, war ein Kind. Sehr wahrscheinlich wäre dann das Verhältnis zu mindestens einer von ihnen auch inniger gewesen. Luburgis spürte, dass sie sich mit den Jahren wie von selbst von den Frauen entfernt hatte, da sie nicht mitreden konnte. Ihre Verbitterung darüber ließ sie an denjenigen Mitmenschen aus, die ihr in irgendeiner Weise untergeben waren, was zur Folge hatte, dass sie auch unter ihnen keine Vertraute fand.
Schmerzlich war Luburgis in den letzten Tagen die bittere Ironie des Trauerschleiers bewusst geworden. Wenn sie es sich nämlich recht überlegte, gab es für sie vielerlei Gründe, ihn zu tragen. Zuallererst trug sie ihn sicherlich wegen Conrads Anweisung, doch tatsächlich trauerte sie um sich selbst.
Die letzte Zeit hatte sie viel nachdenken lassen, und das hatte schmerzliche Erkenntnisse zutage gebracht. Nie zuvor war ihr so überdeutlich bewusst geworden, wie unglücklich sie in den vergangenen Jahren gewesen war. Ihre lieblose Ehe war bestimmt von den wankelmütigen Launen Conrads und ihre Tage gespickt mit dem Hoffen auf Besserung.
Luburgis war von ihrer Mutter darauf vorbereitet worden. Sie hatte ihre Tochter ermahnt, ihrem Mann bedingungslos zu folgen und sich nicht zu beklagen. Viele Ehen würden kühl beginnen, hatte ihre Mutter gesagt, doch ihr Ehemann würde lernen, sie zu lieben, wenn sie sich anstrengte und immer tugendhaft, züchtig und fleißig war. Auch die Ehe der Eltern habe so angefangen und wäre dann in Liebe und Zuneigung gegenüber dem Ehegatten gemündet. An diesem Versprechen hatte Luburgis sich all die Jahre festgehalten. Sie hatte sich angestrengt, um eine gute Wirtschafterin und Ehefrau zu sein, und so versucht Conrads Liebe zu gewinnen. Jetzt fragte sie sich, wofür die ganze Schinderei gut gewesen war, und fand keine Antwort.
So tief war sie in ihren Gedanken versunken, dass Luburgis gar nicht bemerkte, dass sie bereits seit einigen Augenblicken im Dunkeln in ihrer Kammer stand. Sie zündete ein Talglicht an, um den Raum zu erhellen, und fingerte ärgerlich an dem Schleier herum. Endlich konnte sie dieses lästige Ding abnehmen. Sie wollte diese Gedanken nicht haben. Sie wollte endlich aufhören, über all diese Enttäuschungen nachzudenken; doch es gelang ihr einfach nicht.
Wie naiv sie in den ersten Jahren ihrer Ehe doch gewesen war, dachte sie bitter. Von der Liebe, die alle Minnesänger lobpreisten, und der Achtung in der Ehe, wie sie die Bibel beschrieb, hatte sie geträumt. Viel zu langsam wurde sie eines Besseren belehrt. Nach all den Jahren der Lieblosigkeit wusste sie heute, dass es die Liebe in der Ehe gar nicht gab. Jedenfalls nicht in ihrer.
Sehr wahrscheinlich wünschte sie sich auch deshalb so sehr ein Kind. Dieses hätte sie bedingungslos lieben können, und – was fast noch wichtiger für sie war – es hätte sie ebenso bedingungslos wiedergeliebt. Jedes Kind liebte seine Mutter.
In der Hoffnung, endlich schwanger zu werden, hatte sie sich des Nachts bereitwillig den Wünschen ihres Mannes gefügt. Unter Schmerzen ertrug sie, wozu eine Frau von Gott geschaffen war. War ihr nicht alles recht gewesen, um nur endlich ein Kind zu bekommen?
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