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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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klar, dass der Besuch hinter ihr für sie bestimmt war.
    Die Schwester bedankte sich bedächtig, legte ihre Arbeit beiseite und drehte sich dann mit jener Ruhe, die hier jeder Frau anzuhaften schien, zu ihrer Besucherin um. »Ich grüße Euch, Domina Heseke.«
    »Seid ebenfalls gegrüßt, Ingrid«, erwiderte Heseke auf die Worte ihrer einstigen Nachbarin. Gleich darauf entschuldigte sie sich jedoch. »Oh, bitte verzeiht, ich meine natürlich Schwester Ingrid.«
    »Schon in Ordnung«, beschwichtigte diese sie sofort. »Manches Mal klingt es selbst für mich noch fremd. Auch noch nach fünf langen Jahren.«
    Die beiden Frauen schauten sich in die Augen, als wollten sie die Gedanken der anderen lesen. Sie hatten sich vor dem freiwilligen Eintritt Ingrids ins Kloster einige Male gegenseitig eingeladen, bis eine Art Vertrautheit entstanden war. Jene Vertrautheit schien noch nicht ganz verschwunden zu sein.
    Heseke konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, als Ingrid von Horborg dem Konvent beigetreten war. Gerade siebzehn Jahre alt, hatte sie damals den verzweifelten Blick einer zurückgewiesenen Braut gehabt. Zurückgewiesen von Albert von Holdenstede.
    Obwohl Ingrids neues Leben nicht das Schlechteste für eine unverheiratete Frau war, gingen die meisten Frauen doch unter anderen Umständen zu den Beginen. Der häufigste Grund war wohl der Tod des Ehemanns, aber auch alte Frauen ohne Hab und Gut oder diejenigen, die ein selbstbestimmtes, religiöses Leben führen wollten, kamen hierher. Im Gegensatz zum Kloster der Zisterzienserinnen, wo nur Frauen aus Ratsfamilien aufgenommen wurden, konnte den Beginen jede Bürgersfrau beitreten. Es wurde auch kein lebenslanges Gelübde von den Blauen Schwestern verlangt. Ihre Regeln waren weit weniger streng als die der Zisterzienserinnen.
    Heseke vermutete hier die Gründe für Ingrids Entscheidung. Denn sollte sie es irgendwann wollen, konnte Ingrid das Kloster wieder verlassen. Sicher war dieser Weg für ein so junges Mädchen, wie Ingrid es gewesen war, der wohl weniger schwierige gewesen. Auch wenn sie damals freiwillig dem Konvent beigetreten war, wusste Heseke doch, dass sie keine Wahl gehabt hatte. Nachdem kein Mann von Stand die Verschmähte mehr wollte, war dies die einzige Möglichkeit gewesen, um ihre Ehrbarkeit zu schützen.
    Auch wenn Ingrids ehemals lebhaftes Wesen ruhiger geworden zu sein schien, hatte sich an ihrem Äußeren in den vergangenen Jahren nichts geändert. Immer wieder war Heseke über ihren Anblick erschrocken; so auch heute. Wie es schien, wies die Haut im Gesicht der Schwester noch tiefere Furchen auf als die Jahre zuvor. Überall waren eitrige Wunden und Kratzspuren zu erkennen. Auch jetzt, während sie redeten, fingerte die Begine unentwegt an den entzündeten Pusteln herum.
    »Ich freue mich über Euren Besuch, Domina Heseke«, gestand Ingrid aufgeschlossen. »Wollen wir vielleicht ein Stück gehen?«
    »Sehr gerne«, bejahte Heseke.
    Ingrid geleitete ihren Besuch langsam zwischen den Kräutern hindurch. Keine der beiden Frauen sagte etwas, bis Heseke nicht länger an sich halten konnte. Etwas zu direkt platzte es aus ihr heraus. »Schwester Ingrid, wo können wir uns ungestört unterhalten?«
    Die Begine blieb unvermittelt stehen und blickte ihren Besuch erstaunt an. Sofort war sich Heseke bewusst, dass sie behutsamer hätte vorgehen müssen, und ärgerte sich über ihre Unbedachtheit. Gerade wollte sie etwas anfügen, was das Gesagte weniger geheimnisvoll klingen ließ, als sie etwas Interessantes erblickte. Etwas in Ingrids Augen. Einen ganz bestimmten Ausdruck, den sie von sich selbst kannte. Es war eine Mischung aus Neugier und Abenteuerlust, gepaart mit fester Entschlossenheit. Heseke wusste mit einem Mal, dass ihr Plan gelingen würde. Frauen wie Ingrid waren zu allem bereit.
    Die nächsten Worte der Begine bestärkten Heseke in ihrer Einschätzung. Denn statt verwundert nachzufragen, sagte Ingrid nur: »Folgt mir bitte in meine Kammer.«
    Conrads Laune war nach dem Gespräch in der Kurie des Domdekans schlechter denn je. Er wollte nur noch nach Hause, um sich ordentlich zu betrinken. Niemals hätte er gedacht, dass der Tag nach der Ratssitzung noch schlechter werden konnte – doch er hatte sich geirrt.
    Wütend hastete er durch die bereits dunklen Straßen. Der Unrat unter seinen Füßen machte patschende Geräusche, und die Feuchtigkeit kroch von unten durch das Leder seiner Stiefel. Der Regen war eiskalt und sein Mantel bereits

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