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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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letzten Tropfen des Elixiers selbst auf das Seil geklettert und hättet ohne Probleme den Domturm bestiegen.«
    »Das sagte ich, ja, und es ist die Wahrheit!«
    »Also könntet Ihr das Kunststück doch wiederholen und dem Gottesurteil der Dominikaner vor großem Publikum nachkommen. Auf diese Weise wäre ein für alle Mal Eure Unschuld bewiesen.«
    »Ihr vergesst nur eines«, Magdalena lächelte gequält, »die letzten Tropfen des Elixiers sind aufgebraucht, und ohne das wundertätige Mittel würde ich nach wenigen Schritten wie ein Stein zu Boden fallen.«
    »Dann gibt es nur eine Lösung! Wir müssen die ›Bücher der Weisheit‹ finden, in denen die Rezeptur aufgezeichnet ist!«
    Verzweifelt schüttelte Magdalena den Kopf. Tränen der Hilflosigkeit rannen ihr über die Wangen. »Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen«, schluchzte sie, »ist leichter als dieses Vorhaben. Außerdem hätten wir übermächtige Gegner, die das Gleiche wollen wie wir. Denkt nur an den Gesandten des geldgierigen Papstes oder an den rätselhaften Doktor Faust, der in der Bibliothek von Kloster Eberbach nach den ›Büchern der Weisheit‹ gesucht hat.«
    »Wie kommt Ihr zu Eurer Vermutung, Jungfer Magdalena?«
    »Hört auf, mich Jungfer Magdalena zu nennen«, fuhr Magdalena dazwischen. »Ich bin keine Frau von Stand, schon gar nicht von Adel, nur ein gewöhnliches Frauenzimmer, eine Gauklerin obendrein. Nennt mich einfach Magdalena, wie sich’s gehört. Und ich darf Euch wohl Wendelin nennen, wie’s Brauch ist unter Freunden!«
    Schweinehirt, neben ihr im Gras sitzend, nickte zufrieden, ergriff ihre linke Hand, führte sie zum Mund und küsste sie. Für Magdalena entbehrte das nicht einer gewissen Peinlichkeit, aber sie ließ ihn gewähren.
    »Es ist keineswegs nur eine Vermutung«, beantwortete Magdalena Wendelins Frage, »mir erschien der beflissene Mann in der Bibliothek von Anfang an verdächtig. Ich bin ihm nämlich schon einmal begegnet. Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie er die Erkennungsformel der Neun Unsichtbaren murmelte: Satan – Adama … mehr weiß ich nicht mehr.«
    »Und du bist sicher, dies ist das Erkennungszeichen der Neun Unsichtbaren?«
    »Ganz sicher. Schließlich gebrauchte der Schwarzkünstler die verschlüsselten Worte, um Zugang zu Rudolfos Wagen zu finden.«
    »Dann ist Doktor Faust selbst einer der Neun Unsichtbaren!«
    »Eben nicht!«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil er tausend Golddukaten bot, wenn Rudolfo ihm sein Vermächtnis übertragen würde. Faust hätte ein Vermögen für das Geheimnis gezahlt.«
    »Aber woher kannte er die Erkennungsformel?«
    Magdalena reckte die gefalteten Hände gen Himmel: »Weiß Gott! Doktor Faust ist ein großer Gelehrter und akribischer Forscher. Das zeigte schon seine Arbeit in deiner Bibliothek. Mir scheint, er hat zwar nur einen Kopf, aber neun Gehirne. Er wusste sogar, dass Rudolfo unter den Neun Unsichtbaren Quartus war, der Vierte.«
    Wendelin Schweinehirt fiel es nicht leicht, das alles zu glauben. Aber je länger er darüber nachdachte, desto glaubhafter erschienen ihm Magdalenas Erklärungen. Auch er war diesem Doktor Faust von Anfang an mit Misstrauen begegnet. Von anderen Forschern, die sich in der Klosterbibliothek von Eberbach bedienten, hatte er sich vor allem durch seine Schweigsamkeit unterschieden. Forscher sind für gewöhnlich mitteilsam. Dass der Schwarzkünstler hinter etwas Geheimnisvollem her war, das hatte Wendelin nicht gestört; aber dass es sich dabei um die bedeutsamsten Geheimnisse der Menschheit handelte, das lag doch ein wenig außerhalb seines Vorstellungsvermögens.
    »Du sagtest doch, du seist dem Doktor Faust schon einmal begegnet«, meinte er schließlich. »Aber in der Bibliothek hast du kein Wort mit ihm gewechselt!«
    »Stimmt. Soweit ich mich erinnere, hast auch du all die Tage nicht mit ihm geredet!«
    Wendelin nickte zustimmend.
    »Siehst du. Ich wollte nicht, dass er mich erkennt. Du musst wissen, damals trug ich stets eine breite Kappe, um meinen kahl rasierten Schädel zu verbergen. Außerdem war ich ihm nur zur Nachtzeit begegnet.«
    »Warum«, bemerkte der Bibliothekar mit Kopfschütteln, »warum hast du mir nichts von dem Verwirrspiel erzählt, das in der Bibliothek vor meinen Augen ablief?«
    »Ich wusste nicht, ob ich dir trauen kann. Und ich hatte Zweifel, ob du mir glauben würdest. Glaubst du mir überhaupt?«
    Wendelin ergriff Magdalenas Hand. Er blickte sie an, wie er sie noch nie angesehen hatte. Sein

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