Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
strenger von jeglicher Warenzufuhr abschneiden. Früher oder später würden die Menschen in Münster Hunger leiden und den Worten ihrer Prophetennicht mehr bedingungslos vertrauen. Wenn die Mütter ihre verhungerten Kinder begraben mussten, würde es unter den Täufern womöglich zu einem Aufstand kommen, und der Bischof konnte die Stadt wie einen reifen Apfel pflücken.
Doch bis dahin konnten Monate vergehen.
So viel Zeit hatte ich nicht. Mir blieben nicht einmal mehr ganze drei Wochen, um Clunsevoets Forderung zu erfüllen. Und unsere Lage war verzwickter und aussichtsloser denn je.
Derweil all dieser Gram meinen Kopf schwermachte, begab ich mich am Abend an den Rand des Lagers zu einer der Senkgruben, um meinen Darm zu entleeren.
Der Abtritt bestand aus einem Graben von etwa zweihundert Fuß Länge. Man hatte ihn ursprünglich wohl recht tief ausgehoben, doch nach all den Wochen ragten die Fäkalien an manchen Stellen bereits bis an den Rand. Da nach den Regentagen inzwischen die Hitze zurückgekehrt war, surrte eine Armee von Fliegenschwärmen über den Exkrementen. Obwohl zwei Frauen jeden Tag nach Sonnenaufgang den Graben mit Kalk abstreuten, hing ein Gestank in der Luft, der wohl selbst einen hartgesottenen Haudegen zum Erbrechen bringen konnte.
Als ich dort eintraf, benutzten nur drei Männer und ein Kind den Abtritt. Es war also genug Platz vorhanden,mir eine freie Stelle zu suchen. Zu meinem Verdruss hockte sich jedoch plötzlich ein hagerer Landsknecht genau neben mich, kaum dass ich meine Hose nach unten gezogen hatte und meinen Hintern über die Senkgrube streckte. Und er war nicht allein. Ein junger Bursche mit schiefen Zähnen stellte sich vor ihn und hielt die Hände des Hageren fest, als der in die Knie ging. Wahrscheinlich fiel es ihm einfach schwer, über dem Graben das Gleichgewicht zu halten. Die beiden gaben ein Bild ab, als wolle der Hagere den Jungen bitten, mit ihm die Ehe zu schließen.
Dieser Gedanke erheiterte mich. Ich versuchte mich auf meine Notdurft zu konzentrieren, doch nun fing der Hagere auch noch mit heiserer Stimme zu plappern an.
»Verfluchte Tat«, stöhnte er. »Erst wurde ein Dutzend Männer unseres Fähnleins beim Angriff vor den Mauern Münsters getötet. Und heute muss ich dann mitansehen, wie dem Frieder und dem Johan eine Ladung Blei in den Rücken geschossen wird.«
»Kann man es ihnen verdenken, dass sie nicht mehr für den Bischof kämpfen wollten?«, meinte der Jüngling. »Seit Wochen haben wir keinen Sold mehr gesehen, und nach dem Fiasko dieses Angriffes fragen sich viele Männer, ob der Bischof mit seiner Unternehmung noch auf die Gnade des Allmächtigen zählen kann.«
»Und wenn schon.« Der Hagere ließ laut einen Wind fahren. »Frieder und Johan hätten ganz einfach ihre Sachen packen und des Weges ziehen sollen. Doch diese gierigen Ochsen mussten ja unbedingt den Versuch unternehmen, sich den Täufern anzuschließen, um an ihren Sold zu kommen.«
»Das wäre ihnen doch auch um ein Haar gelungen. Es heißt, die Täufer hätten den beiden bereits das Tor geöffnet, nachdem sie den Sektierern lautstark ihre Dienste angeboten hatten.«
»Aber wer das eigene Fähnlein verrät, der darf sich nicht wundern, dass ihm auf der Flucht in den Rücken geschossen wird«, sagte der Hagere. »Und jetzt liegen sie tot vor den Schanzen, weil sie von unseren Waffenbrüdern niedergestreckt wurden.«
»Arme Teufel!«, meinte der Jüngere. »Doch mit Überläufern kennen die Bischöflichen keine Gnade.«
Ich hatte mich inzwischen erleichtert und trat nun rasch davon, um dem Gestank zu entfliehen. Die Unterhaltung der beiden Burschen ging mir allerdings nicht aus dem Kopf.
Auf dem Weg zur Senkgrube war ich noch tief in meine Mutlosigkeit versunken gewesen. Nun schöpfte ich plötzlich neue Kraft, und es schien mir nicht mehr unmöglich, schon am morgigen Tag hinter die Mauern Münsters zu gelangen.
Die Lösung für unser Problem lag auf der Hand, und als ich mich zu einer der Artilleriestellungen begab, die auf Höhe eines der Stadttore errichtet worden war, machte ich eine Beobachtung, die mich in meiner Entscheidung bestärkte. Vor dem Angriff hatten sich an diesen Schanzen die meiste Zeit des Tages fünfzig oder mehr Landsknechte aufgehalten, doch nun bestand die Wachmannschaft nur mehr aus rund einem halben Dutzend müder Kerle, die sich die Zeit mit den Würfeln vertrieben und dem Abschnitt zwischen der Schanze und dem Torhaus kaum noch Beachtung
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