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Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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dieser unerwarteten Entwicklung nicht viel zu halten schien. Äußerlich gab er sich zurückhaltend, doch ich sah ihm an, dass ihn diese neuerliche Offenbarung seines Hofpropheten völlig überrascht hatte. An meiner Vermutung, dass Bockelson den Propheten Dusentschur manipuliert hatte, um zum König ernannt zu werden und die Handhabe über sämtliche Güter der Bürger zu bekommen, zweifelte ich nach wie vor nicht. Doch nun war er von Dusentschurs Prophezeiung wohl überrumpelt worden. Wahrscheinlich war dem humpelnden Goldschmied die Rolle als Sprachrohr Gottes zu Kopf gestiegen, und er glaubte tatsächlich daran, dass der Herr ihn erwählt hatte, um seinen Willen kundzutun. Und die Vision? Es war möglich, dass Dusentschur sich in seiner religiösen Verzückung eingebildet hatte, die Stimme des Herrn zu vernehmen. Womöglich warihm der Auszug aus der Stadt aber auch nur im Traum erschienen. Und diese Hirngespinste konnten Tausende in den Tod schicken.
    Jan Bockelson erhob sich, hielt feierlich einen goldenen Pokal über seinen Kopf, trank von dem Wein und reichte das Gefäß an seinen Nachbarn Dusentschur weiter. Er lächelte milde, doch ich nahm an, er hätte dem Propheten diesen Pokal liebend gerne auf den Kopf geschlagen. Wie heißt es doch: Einen Ziegenbock fürchtet man von vorne, ein Pferd von hinten und einen Narren von allen Seiten.
    Die aufsehenerregende Neuigkeit verbreitete sich rasch in der ganzen Stadt. Bald wurden Ausrufer durch die Straßen geschickt, die den Bürgern verkündeten, dass sie sich zur fünften Stunde des Nachmittags am Berg Zion zu versammeln hätten. Dann würde der Prophet Dusentschur die Offenbarung des Allmächtigen vor der gesamten Gemeinde Christi verkünden.
    Auch Jasmin und ich waren dort zugegen und vernahmen die Worte des Propheten, der auf dem Podest zu der Menge sprach. Er kündigte an, dass die Ankunft des Herrn unmittelbar bevorstand und es Gottes Wille war, dass die Täufergemeinde geschlossen und mutig dem Feind entgegentrat. Er fügte noch hinzu, dass die Posaune des Erlösers dreimal erklingenwürde, bevor wir die Stadt verließen. Beim ersten Signal sollte sich jeder Mann und jede Frau bereithalten. Wenn der zweite Posaunenstoß erklang, war die Zeit gekommen, dass sich die gesamte Gemeinde am Berg Zion versammelte. Diejenigen aber, die diesem Ruf nicht folgten, sollten wie Gottlose behandelt und hingerichtet werden. Wenn dann zum dritten Mal die Posaune geblasen würde, war es an der Zeit, die Stadt zu verlassen. Niemand sollte einen Blick zurückwerfen, wenn wir die Tore durchschreiten und in das Gelobte Land ziehen würden.
    Ähnlich wie die Würdenträger an der königlichen Tafel reagierte auch das versammelte Volk sehr unterschiedlich auf die angeblich göttliche Offenbarung. Einige steigerten sich sogleich in ekstatische Dankesbekundungen, fielen auf die Knie oder wälzten sich auf dem Boden und priesen den Herrn für die Gnade, die er ihnen gewährte. Andere riefen kritische Fragen zu Dusentschur hinauf. Ob man die Stadt denn einfach so den Gottlosen in die Hände fallen lassen wolle und was mit den Alten und Kranken geschehen würde, die man womöglich hier zurücklassen müsse.
    Dusentschur schüttelte den Kopf und behauptete, dass niemand zurückgelassen würde. Wenn die Posaune des Herrn zum dritten Mal erklang, würden die Blinden wieder sehen und die Lahmen wiederlaufen können. Gottes Licht würde über allen scheinen, die aus der Stadt marschierten.
    Münster, so führte er weiter aus, würde sich nach dem Abzug der Täufer in eine Wildnis verwandeln – in einen Wald, der nur noch von Tieren bevölkert sein würde.
    Auch wenn ein Teil der Gemeinde Christi wohl skeptisch blieb, rührte sich kein Widerstand mehr, und nach weiteren Lobpreisungen des Herrn und einer Predigt Bernhard Rothmanns wurde die Versammlung aufgelöst. König Jan, der das Geschehen auf seinem samtüberzogenen Thron verfolgt hatte, verzichtete gänzlich darauf, das Wort an sein Volk zu richten. Er wirkte nachdenklich und in sich gekehrt.
    Auf unserem Weg zurück zum Hof machten Jasmin und ich kurz Halt in einer leeren Gasse, um uns unter vier Augen zu besprechen.
    »Ich werde mit diesen Verrückten auf keinen Fall vor die Tore ziehen«, ereiferte sich Jasmin. »Ein besseres Ziel für die Kanonen der Bischöflichen können wir den Landsknechten nicht bieten.« Sie schnaufte aufgebracht. »Am besten wird es sein, wir suchen uns ein Versteck und bleiben dort, bis die zerfetzten

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