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Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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auserwählte Volk zu sein, machte die Menschen in dieser Stadt blind für die Wahrheit.
    »Wir wollen Gott zum Gefallen ein großes Abendmahl abhalten«, sagte Bockelson. »Ein jeder schaffe Tische und Bänke herbei. An diesem besonderen Tag soll niemand Hunger oder Durst leiden.«
    Diesem Befehl wurde rasch Folge geleistet. Ohne Zögern lief die Menge auseinander, doch schon bald darauf kehrten die Männer und Frauen mit so vielen Tafeln, Bänken und Stühlen zurück, dass ein jeder auf dem Domhof einen Platz fand, an dem er sich zu dem opulenten Bankett niedersetzen konnte. Zahlreiche Ochsen wurden geschlachtet und auf offenen Feuern gebraten. Die Mundschenke rollten Dutzende Fässer herbei, aus denen großzügig Bier und Wein ausgeschenkt wurde. Niemanden schien es an diesem Tag zu kümmern, dass man sich nach wie vor im Belagerungszustand befand und dass diese Vorräte im Grunde zu kostbar waren, um sie hier zu verschwenden. König Jan hingegen forderte sein Volk auf, zu prassen und zu schlemmen. Er selbst, seine Ehefrauen und viele der Prädikanten gingen durch die Reihen, füllten den Leuten aus großen Kannen die Becher und schwatzten munter.
    Ich hatte mich mit Jasmin zusammengefunden, und wir beide hatten uns schon zum zweiten Mal den Teller mit gebratenem Fleisch gefüllt, als ausgerechnet Amalia uns Wein einschenkte.
    »Genieße diesen Moment«, sagte sie und lächelte kokett.
    Nachdem sie weitergezogen war, legte Jasmin die Stirn in Falten und meinte: »Warum ist die so freundlich zu dir?«
    »Heute sind alle gutgelaunt«, wich ich ihr aus. »Schau dir nur den König an.«
    »Ich habe ein Gespür dafür, wenn jemand besonders nett zu dir ist. Amalia scheint ein Auge auf dich geworfen zu haben.«
    »Das glaube ich nicht«, erwiderte ich. »Und wenn schon. Vielleicht gefalle ich ihr einfach. Es gibt gewiss unansehnlichere Männer als mich.«
    »Leider«, raunte Jasmin, doch zum Glück wurde dieser schwierige Wortwechsel unterbrochen, als Johann Dusentschur mitten auf dem Domplatz auf einen Stuhl stieg, um Ruhe bat und zu einer Rede ansetzte.
    Er blickte mit verkniffenen Lippen über die Menge, und als er sprach, wirkte er angespannt und unsicher. Das bestätigte meine Vermutung, dass Jan Bockelson ihn kräftig zusammengestutzt hatte und ihm von nun an jedes einzelne Wort vorgab.
    »Es ist wahr, Gott hatte niemals geplant, die gesamte Gemeinde Christi aus der Stadt zu schicken«, verkündete der Goldschmied. »Aber er offenbarte mir, dass wir siebenundzwanzig Apostel nach Warendorf, Soest, Osnabrück und Coesfeld aussenden sollen, um dort sein unverfälschtes Wort zu predigen und die Menschen davon zu überzeugen, die reine Lehre Christi anzunehmen und die wahre Taufe zu empfangen. Danach sollen sie zurückkehren und unsereneuen Brüder und Schwestern nach Münster führen.«
    Er schlug ein Register auf und zählte die Namen von fünf Prädikanten auf, die nach Warendorf geschickt werden sollten. Zudem sprach er die Drohung aus, die Stadt solle in einem Feuer verbrennen, wenn die Bürger den Frieden ablehnten, den die Apostel ihnen überbrachten.
    Dusentschur verlas daraufhin die Namen der Apostel, die nach Osnabrück und Coesfeld gesandt wurden. Die Männer, die nach Soest ziehen würden, nannte er zuletzt, und auf dieser Liste tauchte auch sein Name auf. Der Goldschmied erklärte, dass der König den ausdrücklichen Wunsch geäußert hatte, dass sein wichtigster Prophet die Apostel begleite, um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, wie wichtig ihm ein Erfolg in dieser Angelegenheit war.
    Bis die siebenundzwanzig Apostel sich zur Abreise bereitgemacht und sich von ihren insgesamt einhundertvierundzwanzig Ehefrauen verabschiedet hatten, war bereits die Nacht hereingebrochen. Die Apostel wurden im Fackelzug an die Tore im Norden, Süden, Westen und Osten geleitet. Dort liefen sie in das Dunkel, um den Schanzgürtel der Belagerer zu überwinden.
    Als auch die letzte Gruppe auf den Weg gebracht worden war, wandte sich König Jan an sein Volk undrief den Männern und Frauen zu: »Sagt mir, seid ihr bereit, die Befehle Gottes auszuführen? Werdet ihr in den Tod gehen, wenn er es von euch verlangt?«
    Tausende Kehlen vereinigten sich zu einem einzigen bejahenden Schrei. Auch wenn viele der Täufer inzwischen betrunken waren, warnte mich das Strahlen in ihren Augen, dass diese Menschen ihrem König nach diesem Tag stärker ergeben waren als jemals zuvor. Jegliche Mühsal und Sorgen schienen in diesem Moment

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