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Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Prädikanten versammelt hatten. Rothmann sprach zu der Menge und verkündete noch einmal, dass der dritte Posaunenstoß das Zeichen zum Abmarsch geben würde. Niemand solle sich fürchten, denn jeder Einzelne von ihnen würde mit der Unterstützung Gottes in der Lage sein, hundert der Feinde aus dem Weg zu schlagen. Danach würden die Täufer in die Welt ziehen und den Menschen dieses Wunder verkünden.
    In einer Gruppe Frauen erkannte ich Jasmin, die angespannt um sich schaute und wahrscheinlich nach einer Möglichkeit zur Flucht suchte, wenn die Täufer tatsächlich aufbrechen und durch das Tor marschieren sollten. Cort, Reynold und Anton Kribbe bekam ich hingegen nicht zu Gesicht. Ich vermutete, dass sie der Anweisung des Propheten nicht gefolgt waren. Wahrscheinlich hockten sie in Kribbes Kellerloch und warteten ab, bis dieser Spuk vorüber war. Und jelänger ich hier mit meinem Schwert in der Hand stand, wünschte ich mir, ich hätte mich ihnen angeschlossen.
    Doch die drei waren nicht die Einzigen, die diesem Aufmarsch fernblieben. Auch König Jan, seine Frauen und der Prophet Dusentschur waren noch immer nicht auf dem Domplatz eingetroffen. Welchen Grund mochte es dafür geben? Hatte sich der König entschlossen, diesem Wahnsinn fernzubleiben und sich in seine Gemächer verkrochen, oder war er gar bereits aus der Stadt geflohen und überließ sein Volk dem Schicksal?
    So warteten wir also auf das Eintreffen des Königs und auf den dritten Trompetenstoß, nach dessen Erklingen laut Dusentschurs Worten die Blinden ihr Augenlicht zurückerlangen sollten und die Lahmen wieder laufen konnten. Ungefähr dreißig Männer und Frauen, deren Augen von einem grauen Schleier überzogen waren oder die sich auf Krücken stützten, hatten sich bereits in der Mitte des Platzes zusammengefunden, um gemeinsam diese göttliche Gnade zu empfangen.
    Das Signal blieb zunächst aus, doch als es zur zehnten Stunde schlug, traf endlich Jan Bockelson ein. Der König hatte sich prächtig herausgeputzt. Er trabte auf seinem Pferd heran, in glänzender Rüstung und mit der goldenen Krone auf seinem Haupt. Nebendem Pferd des Königs humpelte der Prophet Dusentschur. Ihnen folgten einige Reiter in vollem Harnisch und an die fünfzig Gewehrschützen. Schließlich schloss sich noch ein Wagen an, auf dem die Frauen des Königs Platz genommen hatten, darunter auch Amalia.
    Jan Bockelson führte sein Pferd an der Reihe der versammelten Männer entlang und betrachtete stolz seine kleine Armee, die ihm willenlos ergeben war. In diesem Moment war er der vollkommene Theaterkönig, der diesen Moment wie keinen anderen zuvor zu genießen schien. Er führte sein Pferd an das Podest, saß ab und bestieg die Bühne. Hier ließ er noch einmal einen zufriedenen Blick über die Gemeinde Christi schweifen, bevor er die Arme ausbreitete und mit fester Stimme verkündete: »Liebe Brüder und Schwestern, Volk von Münster. Hier habt ihr euch versammelt und erwartet den Auszug in das Gelobte Land unter Gottes schützender Hand. In vielen Gesichtern erkenne ich Furcht vor dem, was uns vor den Toren der Stadt erwartet, dennoch hat keiner von euch gezögert, hier zu erscheinen und unserem Herrn die Treue zu beweisen.« Er nickte, legte eine kurze Pause ein und fuhr dann fort: »Hört meine Worte, denn der Allmächtige hat uns erneut seinen Willen kundgetan. Er schickte mir folgende Prophezeiung: Die dritte Posaune wird nicht geblasen.«
    Auf dem Platz breitete sich überraschtes Gemurmel aus. Einige der Umstehenden schienen enttäuscht zu sein. Mir jedoch fiel ein Stein vom Herzen.
    »Dies alles war eine Probe«, rief Bockelson. »Gott hat unseren Gehorsam in Versuchung geführt. Nun weiß er – und wir alle wissen es –, dass jeder Mann und jede Frau unter uns bereit ist, das Leben zu geben, wenn es von ihm oder ihr verlangt wird.«
    Aus der Menge erklang Jubel. Bockelson brachte sein Volk mit einer einzigen Geste zum Schweigen. Neben dem Podest erkannte ich Dusentschur, der ein wenig verdrießlich dreinschaute. Allmählich konnte ich mir einen Reim darauf machen, was in den vergangenen Stunden geschehen war. Bockelson hatte die Kontrolle zurückerlangt, indem er seine eigene Gottesvision über die des Hofpropheten stellte, bevor dieser das dritte Signal geben und die Täufer in den Untergang schicken konnte. Letztendlich inszenierte Bockelson hier eine billige und leicht durchschaubare Schmierenkomödie, doch der Gotteswahn und die Überzeugung, das

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