Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
Stimme.
»Emanuel! Nein!«
Also bedauerte sie doch meinen Tod. Das gab mir ein wenig Befriedigung.
Nilan atmete tief ein und hob das Schwert an. Die Täufergemeinde verharrte in Stille. Ich erwartete den Hieb, der meinem Leben ein Ende setzen würde.
KAPITEL 31
Da ich diesen Bericht keineswegs aus dem Totenreich ablege, ist es wohl keine Überraschung, dass mein Kopf nicht über das Podest gerollt ist und dass ich noch immer unter den Lebenden weile.
Im Grunde hatte ich an meiner Rettung keinen eigenen Anteil. Ich kauerte vor dem Holzklotz mit zusammengekniffenen Augen, und für den Fall, dass ich wider Erwarten nach meinem Ableben doch voreinem göttlichen Strafgericht stehen würde, erflehte ich in Gedanken die Vergebung meiner kleinen und vor allem größeren Sünden.
Ich glaubte bereits, das Zischen des herabfallenden Schwertes zu vernehmen, da erhob sich in der gespannten Stille eine laute Stimme.
»Hört mich an!«, rief jemand. »Volk von Münster, hört meine Worte!«
Ich stutzte, denn ich erkannte, wer dort zu der Menge sprach.
Reynold!
»Das Wunder, auf das wir alle so verzweifelt gewartet haben, ist endlich eingetreten.«
Einige überraschte Ausrufe waren zu vernehmen, und ich sah, dass der Scharfrichter das Schwert wieder auf dem Boden abgestellt hatte. Ich drehte mühsam den Kopf und schaute in die gleiche Richtung wie die Menschen vor dem Podest. An einem der oberen, weit geöffneten Fenster des Rathauses stand eine mit einem grauen Gewand bekleidete Gestalt mit ausgebreiteten Armen. Reynold ahmte die Pose der Propheten nach, die wir in der Stadt so oft zu Gesicht bekommen hatten.
Im Grunde war dies nur eine weitere Darbietung seiner spöttischen Parodie auf die entrückten Verkündigungen des früheren Hofpropheten Dusentschur, die in unserem Kreis stets für Erheiterung gesorgthatte. Sein plötzliches Auftreten hinterließ jedoch Eindruck bei den versammelten Männern und Frauen. Die träumerische religiöse Hoffnung dieser Menschen trübte gewiss ihr Urteilsvermögen, so dass sie nur allzu leicht von den Versprechungen eines Scharlatans in den Bann gezogen werden konnten. Doch wie lange würde Reynold seine Rolle als Prophet aufrechterhalten können, bevor allen klar wurde, dass seine Worte nichts weiter als heiße Luft waren?
»Unser Erlöser – er ist mir gegenübergetreten«, rief Reynold und reckte die Arme zum Himmel. Er legte eine kurze bedeutungsschwere Pause ein, dann verkündete er: »Der Weltenrichter Jesus Christus ist in unserer Mitte eingetroffen. Frohlocket, denn er wird die Frevler mit den Flammen und dem Schwert strafen. Die wahre Gemeinde Christi aber wird er erretten und aus der Stadt führen.«
Aus der Menge waren vereinzelte Hosianna -Rufe zu hören. Die meisten der Umstehenden konnten sich aber wohl noch nicht so recht entscheiden, ob sie diesem so überraschend aufgetauchten unbekannten Propheten Glauben schenken sollten.
Unterhalb des Podestes sah ich den Prädikanten Ollrich hervortreten. Auf seinem Gesicht zeigte sich der Ärger über diese Komödie. »Ein Hochstapler!«, keifte er. »Ergreift diesen Galgenstrick! Ich erkenneihn. Er war beteiligt an den schändlichen Verbrechen, die wir heute richten.«
Ollrichs Worte gingen im allgemeinen Gemurmel unter, so dass selbst die Leute, die neben ihm standen, seinen Vorwürfen keine Beachtung schenkten. Stattdessen erhob nun wieder Reynold die Stimme und verkündete euphorisch: »Die Zeit des Auszugs ist gekommen. Folgt dem Erlöser, der wie Moses das Meer teilen wird, um uns sicher durch die Reihen der Belagerer zu führen.«
»Das ist uns schon einmal versprochen worden«, rief jemand. »Die gesamte Gemeinde ist hier versammelt. Warum zeigt sich uns der Erlöser nicht?«
»Weil … weil er mich zu seinem Sprachrohr bestimmt hat«, behauptete Reynold. »Und es wird dem Heiland nicht gefallen, wenn seine Entscheidungen in Frage gestellt werden.«
Reynolds Behauptung hatte ein allgemeines Murren zur Folge. »So ein Unsinn«, hörte ich Ollrich schimpfen. »Merkt denn hier keiner, dass dieser Kerl nur ein albernes Schauspiel betreibt?«
»Wir wollen einen Beweis!«, schwang sich eine Stimme auf. »Ein Zeichen des Allmächtigen!«
»Ein Zeichen?« Reynold hob erneut die Hände zum Himmel und rief laut aus: »Ein Zeichen! Oh, Herr, hörst du mich? Gib uns ein Zeichen und zeige auf, dass ich in deinem Namen spreche.«
Der Scharfrichter Nilan zog mich hoch, so dass ich auf den Knien hockte und dieses Schauspiel
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