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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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Bambus im Wind.
    »Ein wunderschönes Bild«, sage ich, weil sonst niemand etwas sagt.
    Mr DeTamble scheint sich über mein Lob zu freuen. »Gefällt es Ihnen? Annette und ich haben es 1962 aus Japan mitgebracht. Wir haben es in Kyoto gekauft, aber das Original stammt aus China. Wir dachten uns, Kimy und Dong würde es gefallen. Es ist eine Kopie aus dem siebzehnten Jahrhundert von einem Bild, das noch viel älter ist.«
    »Erzähl Clare von dem Gedicht«, sagt Henry.
    »Natürlich. Das Gedicht geht ungefähr so: Bambus ist nur eine Hülle, und doch lässt er Gedanken mit den Wolken schweifen. Wie er einsam auf dem Berg steht, still und würdevoll, symbolisiert er das Gebaren eines Edlen. - Gezeichnet und geschrieben mit einem heiteren Herzen, Wu Chen.«
    »Wie schön«, sage ich. Kimy kommt mit den Getränken auf einem Tablett herein, Henry und ich nehmen jeweils ein Glas Sangria, während Mr DeTamble mit beiden Händen vorsichtig nach seinem Tee greift; die Tasse klappert auf der Untertasse, als er beides neben sich auf den Tisch stellt. Kimy sitzt in einem kleinen Sessel am Kamin und nippt an ihrem Sangria. Ich probiere einen Schluck und stelle fest, dass er ziemlich stark ist. Henry sieht mich an und zieht die Brauen hoch.
    »Mögen Sie Gärten, Clare?«, fragt Kimy.
    »Ja«, sage ich. »Meine Mutter ist Gärtnerin.«
    »Vor dem Essen müssen Sie mitkommen und sich hinten den Garten ansehen. Meine Pfingstrosen blühen alle, und wir müssen Ihnen den Fluss zeigen.«
    »Das klingt gut.« Wir trotten alle in den Garten hinaus. Ich bewundere den Chicago River, der am Fuß einer gefährlichen Treppe friedlich vorbeiströmt, dann bewundere ich die Pfingstrosen. Kimy fragt: »Was für einen Garten hat Ihre Mutter? Pflanzt sie Rosen?« Kimy besitzt einen winzigen, aber wohl geordneten Rosengarten, alles Teerosen-Hybriden, soweit ich es beurteilen kann.
    »Sie hat einen Rosengarten. Aber ihre wahre Leidenschaft sind Schwertlilien.«
    »Oh. Schwertlilien hab ich auch. Dort drüben.« Kimy zeigt auf einen Büschel Schwertlilien. »Ich muss sie versetzen, meinen Sie, Ihre Mutter möchte ein paar haben?«
    »Ich weiß nicht. Ich könnte fragen.« Mama hat über zweihundert Arten von Schwertlilien. Ich ertappe Henry, der hinter Kimys Rücken grinst, und sehe ihn finster an. »Ich könnte fragen, ob sie ein paar gegen Ihre tauschen möchte; sie hat ein paar selbst gezüchtete, die sie gern an Freunde verschenkt.«
    »Ihre Mutter züchtet Schwertlilien?«, fragt Mr DeTamble.
    »Sie züchtet auch Tulpen, aber Schwertlilien mag sie am liebsten.«
    »Ist sie von Beruf Gärtnerin?«
    »Nein«, entgegne ich. »Sie betreibt es nur als Hobby. Wir haben einen Gärtner, der den Großteil der Arbeit erledigt, und dann kommen noch ein paar Leute, die mähen und Unkraut jäten und das alles.«
    »Muss ein großer Garten sein«, sagt Kimy und führt uns zurück in die Wohnung. In der Küche klingelt eine Schaltuhr. »Gut«, sagt Kimy. »Zeit zum Essen.« Ich frage, ob ich ihr helfen kann, aber sie verweist mich auf einen Stuhl. Ich setze mich Henry gegenüber. Sein Dad ist zu meiner Rechten, und Kimys leerer Stuhl zu meiner Linken. Mir fällt auf, dass Mr DeTamble einen Pullover trägt, obwohl es hier ziemlich warm ist. Kimy hat sehr hübsches, mit Kolibris bemaltes Porzellan. Vor jedem steht ein beschlagenes Glas mit eiskaltem Wasser. Kimy schenkt uns Weißwein ein. Bei Mr DeTambles Glas zögert sie, übergeht ihn aber, als er den Kopf schüttelt. Dann bringt sie den Salat und setzt sich. Mr DeTamble hebt sein Wasserglas. »Auf das glückliche Paar«, sagt er. »Das glückliche Paar«, echot Kimy, und wir stoßen alle an und trinken. Dann wendet sich Kimy an mich. »Also, Clare, Henry hat erzählt, Sie sind Künstlerin. Welche Art von Künstlerin?«
    »Ich schöpfe Papier. Mache Papierskulpturen.«
    »Oh. Irgendwann müssen Sie mir das zeigen, denn davon verstehe ich überhaupt nichts. So wie Origami?«
    »Nein.«
    Henry springt mir zur Seite. »Ihre Werke haben Ähnlichkeit mit den Sachen von dem deutschen Künstler, den wir im Art Institute gesehen haben, erinnerst du dich, Anselm Kiefer? Große dunkle unheimliche Papierskulpturen.«
    Kimy sieht verblüfft aus. »Aber warum macht ein hübsches Mädchen wie Sie solche hässlichen Sachen?«
    Henry lacht. »Das ist Kunst, Kimy. Außerdem sind ihre Sachen wunderschön.«
    »Ich verwende ganz viele Blumen«, erkläre ich Kimy. »Wenn Sie mir Ihre verwelkten Rosen geben, nehme ich sie in das

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