Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
Vom Netzwerk:
Witz. Natürlich ist mir klar, dass es nicht praktisch ist. Aber ich wollte dir schon immer sagen: Ich fühle mich anders. Irgendwie habe ich mit dir so ein Gefühl des... Verbundenseins. Und ich glaube, das hält mich hier in der Gegenwart. Durch die körperliche Bindung, wie wir sie haben, wird mein Hirn irgendwie neu verkabelt.« Henry streichelt meine Hand mit den Fingerspitzen. »Ich hab was für dich. Komm, setz dich hier rüber.«
    Ich stehe auf und folge ihm ins Wohnzimmer. Er hat das Bett zum Sofa verwandelt, ich setze mich. Die Sonne geht unter und taucht das Zimmer in rosarotes und orangefarbenes Licht. Henry öffnet seinen Schreibtisch, greift in ein Fach und holt einen kleinen Satinbeutel heraus. Dann setzt er sich mit etwas Abstand zu mir, nur unsere Knie berühren sich. Er muss mein Herz klopfen hören, denke ich. An diesem Punkt sind wir jetzt, denke ich. Henry nimmt meine Hände und sieht mich ernst an. Auf diesen Augenblick hab ich so lange gewartet, und jetzt ist er da und er macht mir Angst.
    »Clare?«
    »Ja?« Meine Stimme klingt piepsig und ängstlich.
    »Du weißt, wie ich dich liebe. Willst du meine Frau werden?«
    »Ja, Henry.« Mich überkommt ein beunruhigendes Dejä-vu-Gefühl. »Weißt du, Henry, eigentlich... bin ich das schon.«
Sonntag, 31. Mai 1992 (Clare ist 21, Henry 28)
     
    Clare: Henry und ich stehen im Vorraum des Hauses, in dem er groß wurde. Obwohl wir schon etwas spät dran sind, stehen wir einfach da. Henry lehnt am Briefkasten, die Augen geschlossen, und atmet tief durch.
    »Keine Sorge«, sage ich. »Schlimmer als die Begegnung mit meiner Mutter kann es nicht werden.«
    »Deine Eltern waren sehr nett zu mir.«
    »Aber Mama ist unberechenbar.«
    »Dad auch.« Henry steckt seinen Schlüssel ins Haustürschloss, dann gehen wir eine Treppe nach oben, und er klopft an eine Wohnungstür, die unverzüglich von einer winzigen alten Koreanerin geöffnet wird: Kimy. Sie trägt ein blaues Seidenkleid und leuchtend roten Lippenstift, ihre Augenbrauen sind ein bisschen schief nachgezogen. Ihr von grauen Strähnen durchzogenes Haar ist geflochten und an den Ohren jeweils zu einem Knoten eingerollt. Aus irgendeinem Grund erinnert sie mich an Ruth Gordon. Sie reicht mir bis zu den Schultern, neigt den Kopf zurück und sagt: »Ohhh, Henry, sie ist sooo schööön!« Ich merke, wie ich rot werde. Henry sagt: »Kimy, wo bleiben deine guten Manieren?«, worauf Kimy lacht und sagt: »Hallo, Miss Clare Abshire!«, und ich »Hallo, Mrs Kim« erwidere. Wir lächeln uns an, und sie sagt: »Oh, Sie müssen mich Kimy nennen, alle nennen mich Kimy.« Ich nicke und folge ihr ins Wohnzimmer, wo Henrys Dad in einem Sessel sitzt.
    Er sagt nichts, sieht mich nur an. Henrys Dad ist dünn, groß, knochig und müde. Er sieht seinem Sohn nicht sehr ähnlich. Er hat kurze graue Haare, dunkle Augen, eine lange Nase und einen schmalen Mund, dessen Winkel leicht abwärts geneigt sind. Völlig zusammengesunken sitzt er im Sessel, mir fallen seine Hände auf, lange elegante Hände, die in seinem Schoß liegen wie eine schlafende Katze.
    Henry hustet und sagt: »Dad, das ist Clare Abshire. Clare, mein Vater, Richard DeTamble.«
    Mr DeTamble streckt zögernd die Hand aus, und ich trete einen Schritt vor und nehme sie. Sie ist eiskalt. »Hallo, Mr DeTamble. Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
    »Tatsächlich? Dann kann Ihnen Henry nicht viel über mich erzählt haben.« Seine Stimme klingt heiser und vergnügt. »Ich werde aus ihrem Optimismus Kapital schlagen. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir. Kimy, können wir etwas zu trinken haben?«
    »Ich wollte gerade fragen. Clare, was möchten Sie? Ich habe Sangria gemacht, mögen Sie das? Henry, was ist mit dir? Sangria? Gut. Richard, willst du ein Bier?«
    Einen Augenblick scheinen alle innezuhalten. Dann sagt Mr DeTamble: »Nein, Kimy, ich glaube, ich trinke nur Tee, wenn es dir nichts ausmacht, welchen zu kochen.« Kimy verschwindet lächelnd in der Küche, und Mr DeTamble wendet sich zu mir. »Ich bin ein bisschen erkältet. Ich habe zwar etwas gegen Grippe genommen, aber ich fürchte, es macht mich nur müde.«
    Henry sitzt auf dem Sofa und beobachtet uns. Das gesamte Mobiliar ist weiß und sieht nach Kaufhaus aus, als wäre es um 1945 bei JCPenney gekauft worden. Die Polster sind mit durchsichtigem Plastik geschützt, auf dem weißen Teppich liegen Läufer aus Kunststoff. Über dem Kamin, der offenbar nie benutzt wird, hängt eine wunderschöne Tuschezeichnung von

Weitere Kostenlose Bücher