Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
Vom Netzwerk:
meldet sich das Mädchen, aber die Frau nimmt sie nicht dran. Man sieht dem Mädchen an, dass es langsam die Nase voll hat.
    Die Museumspädagogin redet über Cornells AWary-Kästen. Jeder Kasten ist schlicht, viele sind innen weiß gestrichen, mit Stangen und der Art von Löchern, wie man sie in einem Vogelhaus findet, und in einigen sind Vogelbilder. Es sind die stärksten und asketischsten seiner Werke, ohne das Spleenige der Soap Bubble Sets oder die Romantik der Hotel- Kästen.
    »Warum glaubt ihr, hat Mr Cornell diese Kästen gemacht?« Auf der Suche nach einer Antwort lässt die Museumspädagogin ihren Blick fröhlich über die Schüler schweifen, wobei sie das pfauenblaue Mädchen übersieht, das mit der Hand wedelt, als hätte es den Veitstanz. Ein Junge vorne sagt schüchtern, dass der Künstler wohl Vögel gemocht habe. Das ist zu viel für das Mädchen. Die Hand in der Luft, steht sie auf, und die Museumspädagogin sagt widerstrebend: »Ja?«
    »Er hat die Kästen gemacht, weil er einsam war. Er hatte keinen, den er lieben konnte, also hat er die Kästen gemacht, damit er wenigstens sie lieben konnte und damit die Leute wussten, dass es ihn gibt, und weil Vögel frei sind und die Kästen ihnen ein Versteck bieten, an dem sie sich sicher fühlen, denn er wollte auch frei sein und sich sicher fühlen. Die Kästen sind für ihn, damit er ein Vogel sein kann.« Das Mädchen setzt sich wieder.
    Ihre Antwort haut mich um. Dieses zehnjährige Mädchen kann sich in Joseph Cornell hineinversetzen. Weder die Museumspädagogin noch die Klasse weiß so recht etwas damit anzufangen, doch die Lehrerin, offenbar an das Mädchen gewöhnt, sagt: »Vielen Dank, Alba, deine Antwort ist sehr scharfsinnig.« Als sie sich umdreht und die Lehrerin dankbar anlächelt, sehe ich ihr Gesicht: Es ist das meiner Tochter. Ich trete ein paar Schritte vor, um sie besser zu sehen, da entdeckt sie mich, und ihr Gesicht erhellt sich, sie springt auf, stößt ihren kleinen Klappstuhl um, und noch ehe ich es fassen kann, halte ich Alba in den Armen, halte sie ganz fest, knie vor ihr und drücke sie an mich, während sie immer wieder »Daddy« sagt.
    Alle gaffen uns an. Die Lehrerin eilt herbei.
    Sie sagt: »Alba, wer ist das? Sir, wer sind Sie?«
    »Ich bin Henry DeTamble, Albas Vater.«
    »Er ist mein Daddy.«
    Die Lehrerin ist kurz davor, die Hände zu ringen. »Sir, Albas Vater ist tot.«
    Mir verschlägt es die Sprache. Aber Alba, meine Tochter, hat die Situation im Griff.
    »Er ist tot«, sagt sie der Lehrerin. »Aber er ist nicht ständig tot.«
    Ich finde meine Fassung wieder. »Irgendwie ist das schwer zu klären...«
    »Er ist eine CGP«, erklärt Alba. »Genau wie ich.« Der Lehrerin scheint das einzuleuchten, obwohl ich nichts damit anfangen kann. Unter ihrem Make-up ist sie leicht erblasst, aber sie sieht mitfühlend aus. Alba drückt meine Hand. Sag etwas, meint sie damit.
    »Ah, Ms...«
    »Cooper.«
    »Ms Cooper, wäre es möglich, dass Alba und ich uns ein paar Minuten unterhalten könnten? Wir sehen uns nicht sehr oft.«
    »Also ... na ja ... wir machen einen Ausflug ... die Gruppe ... ich kann Sie nicht einfach das Kind aus der Gruppe nehmen lassen, zumal ich nicht sicher weiß, ob Sie tatsächlich Mr DeTamble sind, verstehen Sie...«
    »Wir rufen Mama an«, sagt Alba, rennt zu ihrer Schultasche hinüber und zückt ein Mobiltelefon. Dann drückt sie eine Taste, und ich höre das Telefon anläuten und erkenne schlagartig, dass sich hier einzigartige Möglichkeiten auftun: Am anderen Ende nimmt jemand ab, und Alba sagt: »Mama? Ich bin im Art Institute... Nein, mir geht es gut... Mama, Daddy ist hier! Sag Mrs Cooper, dass er wirklich Daddy ist, ja?... Klar, sicher, Wiedersehen!« Sie reicht mir das Telefon. Ich zögere, nehme meine Sinne zusammen.
    »Clare?« Tiefes Einatmen. »Clare?«
    »Henryl Oh, Gott, ich kann’s nicht fassen! Komm nach Hause!«
    »Ich will es versuchen ...«
    »Aus welcher Zeit kommst du?«
    »2001. Kurz vor Albas Geburt.« Ich lächle Alba an. Sie schmiegt sich an mich, hält meine Hand.
    »Vielleicht sollte ich zu euch kommen?«
    »Das ginge schneller. Pass auf, könntest du der Lehrerin sagen, dass ich wirklich ich bin?«
    »Klar... und wo finde ich dich?«
    »Bei den Löwen. Komm so schnell du kannst, Clare. Allzu lang wird es nicht mehr dauern.«
    »Ich liebe dich.«
    »Ich liebe dich auch, Clare.« Ich zögere, dann reiche ich Mrs Cooper den Hörer. Sie unterhält sich kurz mit Clare, die sie

Weitere Kostenlose Bücher