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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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wo er sein könnte. Ich grabe in meinem Gedächtnis und versuche den Henry, der gestern beim Anziehen seiner Hose verschwunden ist, mit irgendeinem Henry aus meiner Kindheit zusammenzubringen. Aber es ist Zeitverschwendung, ich werde einfach warten müssen, bis er es mir selbst erzählt. Vielleicht ist er inzwischen zu Hause. Ich muss mich zurückhalten, um nicht aus dem Restaurant zu stürmen und sicherheitshalber nachzusehen. Das Hauptgericht wird serviert. Ich drücke Zitronensaft über die Nudeln und fange an zu essen. Ich stelle mir vor, wie die winzige und rosig in meinem Bauch eingerollte Alba mit kleinen zarten Stäbchen Pad Thai isst. Ich stelle mir ihre langen schwarzen Haare und grünen Augen vor. Sie lächelt und sagt: »Danke, Mama.« Ich lächle zurück und erwidere: »Gern geschehen, wirklich keine Ursache.« Sie hat ein kleines Kuscheltier bei sich, es heißt Alfonzo. Alba füttert Alfonzo ein bisschen Tofu. Ich esse die Nudeln auf, bleibe noch ein paar Minuten sitzen und ruhe mich aus. Am Nebentisch zündet sich jemand eine Zigarette an. Ich zahle und gehe.
    Ich wackle die Western Avenue entlang. Aus einem Auto voll puertoricanischer Jugendlicher ruft mir jemand etwas zu, aber ich verstehe es nicht. Vor unserem Haus angelangt, suche ich die Schlüssel, und Henry reißt die Tür auf, sagt »Gott sei Dank« und schlingt die Arme um mich.
    Wir küssen uns. Ich bin so erleichtert, ihn wieder zu sehen, dass es ein paar Minuten dauert, bis ich merke, wie unendlich erleichtert auch er ist.
    »Wo bist du gewesen?«, will Henry wissen.
    »Im Opart. Und du?«
    »Du hast keine Nachricht hier gelassen. Als ich nach Hause kam, warst du nicht da, und ich dachte, du wärst im Krankenhaus, also rief ich dort an, aber sie wussten von nichts...«
    Ich fange zu lachen an und kann kaum noch aufhören. Henry sieht mich verdutzt an. Als ich mich wieder beruhigt habe, sage ich zu ihm: »Jetzt weißt du, wie das ist.«
    Er lächelt. »Entschuldige. Aber ich bin einfach... Ich wusste nicht, wo du steckst und bekam irgendwie Angst. Ich dachte schon, ich hätte Alba verpasst.«
    »Aber wo warst du denn nun?«
    Henry grinst. »Das erzähle ich dir gleich. Sekunde noch. Setzen wir uns.«
    »Legen wir uns lieber hin. Ich bin kaputt.«
    »Was hast du den ganzen Tag gemacht?«
    »Herumgelegen.«
    »Arme Clare, kein Wunder, dass du müde bist.« Ich gehe ins Schlafzimmer, schalte die Klimaanlage ein und ziehe die Jalousien herunter. Henry biegt in die Küche ab und erscheint kurz darauf mit Getränken. Ich mache es mir auf dem Bett bequem und erhalte ein Ginger Ale; Henry streift seine Schuhe ab und kommt mit einem Bier in der Hand zu mir.
    »Erzähl mir alles.«
    »Gut.« Er hebt eine Augenbraue, öffnet den Mund, schließt ihn wieder. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
    »Spuck schon aus.«
    »Ich muss von vornherein sagen, es war das Seltsamste, was mir je zugestoßen ist.«
    »Seltsamer als unsere Begegnung?«
    »Ja. Ich meine, die war doch durchaus natürlich, Junge trifft Mädchen...«
    »Seltsamer als immer wieder zu sehen, wie deine Mutter stirbt?«
    »Das ist inzwischen nur noch eine schreckliche Routine. Ein schlechter Traum, der mich immer mal wieder heimsucht. Nein, ich spreche von etwas wirklich Surrealem.« Er streicht mit der Hand über meinen Bauch. »Ich bin vorwärts gereist, und ich war wirklich da, verstehst du, voll und ganz, und ich bin unserem kleinen Mädchen begegnet.«
    »O Gott. Wie bin ich neidisch. Aber toll!«
    »Ja. Sie war ungefähr zehn. Clare, sie ist so unglaublich ... sie ist klug und musikalisch und einfach ... sehr selbstsicher, nichts hat sie aus der Fassung gebracht...«
    »Wie sieht sie aus?«
    »Wie ich. Eine weibliche Ausgabe von mir. Natürlich ist sie schön, sie hat deine Augen, aber im Wesentlichen sieht sie mir sehr ähnlich: Schwarze Haare, blass, ein paar Sommersprossen, und ihr Mund ist kleiner als meiner früher, auch ihre Ohren stehen nicht so ab. Sie hatte langes lockiges Haar und meine Hände mit den langen Fingern, außerdem ist sie groß... Ein bisschen wie eine junge Katze.«
    Traumhaft. Herrlich.
    »Ich fürchte, meine Gene haben sich bei ihr durchgesetzt. Aber von der Persönlichkeit her glich sie dir. Sie hatte eine unglaubliche Ausstrahlung. Ich hab sie im Art Institute gesehen, in einer Gruppe von Schulkindern, sie haben sich Joseph Cornells Aviary -Kästen angesehen, und sie hat etwas wirklich Herzzerreißendes über ihn gesagt ... irgendwie wusste ich, wer sie

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