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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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ansprechende Art am Körper, und ich überlege schon, es wegzuzupfen, lasse es aber sein, weil sie keinen BH trägt und ich es noch lange von ihr zu hören kriegen würde. Wir tanzen, Iggy Pop singt, und nach drei Zugaben geht das Konzert leider und unvermeidlich zu Ende. Ich fühle mich phantastisch. Als wir mit den anderen begeisterten und aufgepumpten Konzertgängern hinaustrotten, überlege ich, was wir jetzt machen könnten. Ingrid schwenkt ab und stellt sich in die lange Schlange vor der Damentoilette. Ich warte draußen auf sie und beobachte, wie ein Yuppie in einem BMW mit einem jungen Typ vom Park-Service wegen eines verbotenen Parkplatzes streitet, als ein riesiger blonder Typ auf mich zukommt.
    »Henry?«, fragt er. Ich überlege schon, ob er mir gleich eine Gerichtsvorladung oder dergleichen überreichen wird.
    »Ja?«
    »Clare lässt dich schön grüßen.« Wer verdammt ist Clare?
    »Tut mir Leid, falsche Nummer.« Ingrid, die wieder ihr gewohntes Bond-Girl-Ich angenommen hat, tritt heran und taxiert den Kerl, der ein ziemlich gelungenes Exemplar der männlichen Spezies ist. Ich lege den Arm um sie.
    Der Typ lächelt. »Entschuldigung. Du musst irgendwo einen Doppelgänger haben.« Mir zieht sich das Herz zusammen; da ist etwas im Gang, das ich nicht mitbekomme, ein kleiner Teil meiner Zukunft sickert ins Jetzt, aber im Augenblick ist nicht der richtige Zeitpunkt, um nachzuforschen. Er scheint sich über etwas zu freuen, entschuldigt sich und geht.
    »Was sollte das denn?«, fragt Ingrid.
    »Ich glaube, er hat mich nur verwechselt.« Ich zucke die Achseln. Ingrid sieht besorgt aus. Aber da sich Ingrid so gut wie über alles sorgt, was mich betrifft, ignoriere ich es. »Hey, Ing, was wollen wir jetzt machen?« Ich könnte ganze Häuserschluchten überspringen.
    »Zu mir?«
    »Phantastisch.« Wir holen uns bei Margie’s Candies ein Eis, und dann sitzen wir im Auto und singen »I Scream, you scream, we all scream for ice cream« und lachen wie gestörte Kinder. Als ich später mit Ingrid im Bett liege, frage ich mich, wer Clare ist, aber dann sage ich mir, darauf gibt es vermutlich keine Antwort und vergesse es wieder.
Freitag, 18. Februar 2005 (Henry ist 41, Clare 33)
     
    Henry: Ich gehe mit Charisse in die Oper. Es gibt Tristan und Isolde. Dass ich mit Charisse hier bin und nicht mit Clare, liegt an Clares extremer Aversion gegen Wagner. Ich selbst bin auch kein großer Wagnerianer, aber wir haben ein Abonnement, und dann kann ich ebenso gut gehen. Eines Abends, als wir bei Charisse und Gomez darüber diskutieren, sagt Charisse wehmütig, sie sei noch nie in der Oper gewesen. Fazit des Ganzen ist, das Charisse und ich vor der Lyric Opera aus einem Taxi steigen, und Clare zu Hause auf Alba aufpasst und mit Alicia, die uns diese Woche besucht, Scrabble spielt.
    Eigentlich bin ich nicht in der Stimmung für das Ganze. Als ich Charisse abholte, zwinkerte Gomez mir zu und sagte in seiner besten unbedarften Elternstimme: »Bleib nicht zu lange mit ihr weg, mein Sohn!« Ich kann mich gar nicht entsinnen, wann Charisse und ich zuletzt etwas allein unternommen haben. Ich mag sie, sehr sogar, aber im Grunde habe ich ihr nicht viel zu sagen.
    Ich führe sie durch die Menge. Sie geht langsam, nimmt die herrliche Eingangshalle, den Marmor und die geschwungenen Balkone in sich auf, die auf elegante Weise unaufdringlich reichen Leute, die Studenten im Kunstpelz und mit den gepiercten Nasen. Charisse schmunzelt über die Libretto-Verkäufer, zwei befrackte Herren, die am Halleneingang stehen und zweistimmig singen: »Libretto! Libretto! Kaufen Sie sich ein Libretto!« Keiner meiner Bekannten ist hier. Wagnerianer sind die Kommandotruppen der Opernfans; sie sind aus ernsterem Stoff gemacht und kennen sich alle untereinander. Als Charisse und ich die Treppe zum Mezzanin hochgehen, werden viele Küsschen verteilt.
    Clare und ich haben eine eigene Loge, einer der Genüsse, die wir uns gönnen. Als ich den Vorhang zurückziehe und Charisse eintreten lasse, sagt sie: »Oh!« Ich nehme ihren Mantel und lege ihn über einen Stuhl, mit meinem mache ich dasselbe. Dann setzen wir uns.
    Charisse schlägt die Füße übereinander und faltet ihre kleinen Hände im Schoß. Ihre schwarzen Haare schimmern im weichen Dämmerlicht, und mit ihrem dunklen Lippenstift und den dramatischen Augen sieht sie aus wie ein äußerst freches Kind, das sich herausgeputzt hat und bis spätabends mit den Erwachsenen aufbleiben darf. Sie saugt die

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