Die Frau des Zeitreisenden
vielen Jahren hatte ich eine Mom. Ich hatte auch einen Dad, und sie haben sich über alles geliebt. Und sie hatten mich. Wir waren alle ziemlich glücklich. Außerdem waren sie beide unglaublich gut in ihren Jobs, besonders meine Mutter war auf ihrem Gebiet eine Virtuosin, und wir waren ständig unterwegs und sahen die Hotelzimmer der ganzen Welt. Kurz vor Weihnachten...«
»In welchem Jahr?«
»In dem Jahr, als ich sechs war. Am Morgen des Weihnachtsabends war mein Dad in Wien, weil wir bald dorthin ziehen wollten und er eine Wohnung für uns suchte. Es war geplant, dass er zurückfliegen und Mom mit mir zum Flughafen fahren sollte, um ihn dort abzuholen; dann wollten wir zu dritt weiterfahren und bei Grandma die Feiertage verbringen.
Es war ein grauer, verschneiter Morgen, und auf den Straßen lagen Eisschichten, die noch nicht mit Salz bestreut waren. Mom war eine nervöse Fahrerin. Sie hasste die Schnellstraßen ebenso wie die Fahrt zum Flughafen und hatte sich nur darauf eingelassen, weil es die sinnvollste Lösung war. Wir standen früh auf, sie packte das Auto. Ich trug einen Wintermantel, eine Strickmütze, Stiefel, Jeans, einen Pullover, Unterwäsche, etwas zu enge Wollsocken und Fausthandschuhe. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, was damals noch etwas ungewöhnlicher war als heute.«
Clare trinkt einen Schluck Milch aus der Packung und hinterlässt einen zimtfarbenen Lippenstiftabdruck. »Welches Auto hattet ihr?«
»Einen weißen 62er-Ford Fairlane.«
»Wie sieht der aus?
»Musst du nachschlagen. War wie ein Panzer gebaut. Mit Flossen. Meine Eltern liebten ihn - sie verbanden viele Erinnerungen mit ihm.
Dann stiegen wir ein. Ich saß auf dem Beifahrersitz, wir waren beide angeschnallt. Wir fuhren los. Das Wetter war absolut schrecklich. Man konnte kaum sehen, und die Lüftung im Auto war nicht die beste. Wir führen durch ein Labyrinth von Wohnstraßen und kamen schließlich auf die Schnellstraße. Die Hauptverkehrszeit war bereits vorbei, aber wegen des Wetters und der kommenden Feiertage herrschte ein einziges Verkehrschaos. Wir fuhren zwischen fünfundzwanzig und dreißig Stundenkilometern. Meine Mutter blieb auf der rechten Spur, weil sie bei der schlechten Sicht wahrscheinlich nicht die Spur wechseln wollte und weil die Ausfahrt zum Flughafen ohnehin nicht weit entfernt war.
Wir führen in sicherem Abstand hinter einem Laster, ließen jede Menge Platz vor uns. Bei einer Auffahrt bog hinter uns ein kleiner Wagen ein, eine rote Corvette, um genau zu sein. Die Corvette - sie wurde von einem Zahnarzt gesteuert, der um halb elf vormittags schon leicht betrunken war - fuhr etwas zu rasant und konnte wegen der vereisten Straße nicht schnell genug verlangsamen. Er fuhr bei uns auf. Unter normalen Bedingungen wäre die Corvette übel zugerichtet worden, und unser unzerstörbarer Ford Fairlane hätte eine verbogene Stoßstange davongetragen; alles wäre keine große Sache gewesen.
Aber das Wetter war schlecht, die Straßen glatt, und so wurde unser Auto durch den Stoß von hinten mit beschleunigtem Tempo vorwärts gestoßen, als der Verkehr gerade langsamer wurde. Der Laster vor uns bewegte sich kaum noch. Meine Mutter trat pumpend auf die Bremse, doch es tat sich nichts.
Wir rutschten praktisch in Zeitlupe auf den Laster, so jedenfalls kam es mir vor. In Wirklichkeit fuhren wir ungefähr fünfundsechzig. Es war ein offener Kleinlaster voller Alteisen. Als wir auffuhren, flog ein riesiges Stahlblech von der Ladefläche, brach durch unsere Windschutzscheibe und enthauptete meine Mutter.«
Clare hat die Augen geschlossen. »Nein.«
»Doch.«
»Aber du warst neben ihr! Warst du zu klein?«
»Nein, daran lag es nicht, das Blech bohrte sich genau an der Stelle in den Sitz, wo eigentlich mein Kopf hätte sein sollen. Ich wurde an der Stirn gestreift, man sieht noch die Narbe.« Ich zeige sie Clare. »Die Platte hat meine Mütze erwischt. Die Polizei konnte es sich nicht erklären. Meine Kleider waren alle im Auto, lagen auf dem Sitz und am Boden, und mich fand man splitternackt am Straßenrand.«
»Du bist zeitgereist.«
»Ja. Das bin ich.« Ein kurzes Schweigen tritt ein. »Damals ist es zum zweiten Mal passiert. Ich hatte keine Ahnung, was vor sich ging. Ich sah, wie wir uns in den Laster schoben, und dann wachte ich im Krankenhaus auf. Ich war so gut wie unverletzt, hatte nur einen Schock.«
»Wie ... warum glaubst du, hast du so reagiert?«
»Stress - nackte Angst. Mein Körper hat
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