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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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einem Schuss in die Brust.«
    »Henry...«
    »Du musst wissen, das war vor sechs Jahren, und ich bin immer noch wütend auf sie. So eine Verschwendung. Aber sie war schwer depressiv, schon sehr lange, sie ist einfach darin versunken. Ich konnte ihr nicht helfen. Das war einer unserer häufigen Streitpunkte.«
    »Das ist ein ziemlich kranker Witz, Bücherknecht.«
    »Willst du Beweise?«
    Er lächelt nur.
    »Was ist mit dem Foto? Von dem du sagst, dass Clare es hat.«
    Das Lächeln verschwindet. »Gut. Ich gebe zu, dass mich das ein klein wenig verwirrt.«
    »Ich traf Clare zum ersten Mal im Oktober 1991. Sie traf mich zum ersten Mal im September 1977; sie war sechs, ich werde achtunddreißig sein. Sie kennt mich schon ihr ganzes Leben lang. 1991 haben wir uns gerade kennen gelernt. Im Übrigen solltest du Clare das alles selbst fragen. Sie wird es dir erzählen.«
    »Schon geschehen. Sie hat es mir erzählt.«
    »Also wirklich, Gomez. Du stiehlst mir wertvolle Zeit, lässt mich alles wiederholen. Hast du ihr nicht geglaubt?«
    »Nein. Hättest du ihr geglaubt?«
    »Natürlich. Clare ist sehr ehrlich. Das liegt an ihrer katholischen Erziehung.« Lance kommt erneut mit Kaffee vorbei. Ich bin zwar schon ziemlich koffeiniert, aber mehr kann nie schaden. »Und? Nach welchem Beweis suchst du?«
    »Clare sagt, du verschwindest.«
    »Ja, das ist einer meiner dramatischeren Taschenspielertricks. Häng dich an meine Fersen, und früher oder später verdufte ich. Es kann Minuten, Stunden oder Tage dauern, aber was das angeht, bin ich sehr verlässlich.«
    »Kennen wir uns im Jahr 2000?«
    »Klar.« Ich grinse ihn an. »Wir sind gute Freunde.«
    »Sag mir meine Zukunft.«
    Oh, nein. Eine schlechte Idee. »Kommt nicht in Frage.«
    »Warum nicht?«
    »Gomez. Dinge geschehen. Sie im Voraus zu wissen macht alles ... komisch. Du kannst sowieso nichts ändern.«
    »Warum nicht?«
    »Kausalität ist nur vorwärts gerichtet. Alles geschieht nur einmal, ein einziges Mal. Wenn du alles weißt... kommst du dir vor wie in einer Falle. Wenn du einfach in der Zeit lebst, offen für alles ... bist du frei. Glaub mir.« Er macht ein frustriertes Gesicht. »Bei unserer Hochzeit wirst du mein Trauzeuge sein. Und ich werde deiner sein. Du hast ein schönes Leben, Gomez. Aber Einzelheiten erzähle ich dir nicht.«
    »Börsentipps?«
    Klar, warum nicht. Im Jahr 2000 steht der Aktienmarkt Kopf, aber man kann erstaunliche Gewinne erzielen, und Gomez wird zu den Glückspilzen zählen. »Schon mal vom Internet gehört?«
    »Nein.«
    »Hat was mit Computern zu tun. Ein riesiges weltweites Netz, an das normale Leute angeschlossen sind, die über Telefonleitungen per Computer kommunizieren. In diese Technologie solltest du investieren. Netscape, America Online, Sun Microsystems, Yahoo!, Microsoft, Amazon.com.« Er macht sich Notizen.
    »Dotcom?«
    »Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Kauf sie einfach beim ersten Börsengang.« Ich muss lächeln. »Ein ganz heißer Tip.«
    »Und ich dachte, du rastest aus, wenn heute Abend jemand von heißen Typen redet.«
    »Ach Gomez.« Plötzlich wird mir übel. Ich verspüre wenig Lust, hier, in diesem Augenblick, großes Aufsehen zu erwecken, und springe auf. »Folge mir«, sage ich und renne zur Herrentoilette, Gomez dicht hinter mir. Dort stürme ich in die wunderbarerweise leere Kabine. Schweiß rinnt mein Gesicht hinab, ich übergebe mich ins Klo. »Verdammter Mist«, sagt Gomez. »Was ist los, Bücher...«, doch was er noch sagen will, erreicht mich nicht, denn ich liege auf der Seite, nackt, auf einem kalten Linoleumboden, in völliger Dunkelheit. Mir ist schwindlig, darum bleibe ich eine Weile liegen. Ich strecke die Hand aus und ertaste die Rücken von Büchern. Ich befinde mich im Magazin der Newberry. Mühsam komme ich auf die Füße, wanke ans Ende des Gangs und knipse den Schalter an; Licht durchflutet die Reihe, in der ich stehe, und blendet mich. Meine Kleidung und der Wagen mit den Büchern, die ich zurückstellen wollte, sind im nächsten Gang. Ich ziehe mich an, ordne die Bücher ein und öffne behutsam die Sicherheitstür, die zum Magazin führt. Ich weiß nicht, wie spät es ist, die Alarmanlage könnte eingeschaltet sein. Aber nein, alles ist wie gehabt. Isabelle weist einen neuen Nutzer in die Gepflogenheiten des Lesesaals ein, Matt geht vorbei und winkt. Sonnenlicht fällt durch die Fenster, und die Zeiger der Lesesaaluhr weisen auf 16.15 Uhr.
    Ich bin keine fünfzehn Minuten weg gewesen.

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