Die Frau des Zeitreisenden
Zeit kam er?«
»Aus dem Jahr 2000. Er sah viel älter aus.«
»Er macht viel durch.« Irgendwie nett, hier zu sitzen und mit jemandem über Henry zu reden, der ihn kennt. Mich überkommt eine Welle der Dankbarkeit für Gomez, die verebbt, als er sich vorbeugt und ganz ernst sagt: »Heirate ihn nicht', Clare.«
»Er hat mich noch gar nicht gefragt.«
»Du weißt genau, was ich meine.«
Ich sitze reglos da und betrachte meine im Schoß gefalteten Hände. Mir ist kalt, ich bin wütend. Ich blicke auf. Gomez betrachtet mich nervös.
»Ich liebe ihn. Er ist mein Ein und Alles. Mein ganzes Leben lang hab ich auf ihn gewartet, und jetzt ist er da.« Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. »Bei Henry sehe ich alles ganz klar, wie auf einer Landkarte, Vergangenheit und Zukunft, alles auf einmal, wie bei einem Engel...« Ich schüttle den Kopf, ich kann es nicht in Worte fassen. »Ich kann ihn ertasten und die Zeit spüren. Er liebt mich. Wir heiraten, weil wir zueinander gehören...« Ich stocke. »Es ist schon geschehen. Alles auf einmal.« Ich blicke zu Gomez, ob er mich verstanden hat.
»Clare. Ich mag ihn wirklich sehr. Er ist faszinierend. Aber auch gefährlich. Alle Frauen, mit denen er zusammen gewesen ist, zerbrechen irgendwie. Ich möchte nur nicht, dass du blindlings in die Arme dieses charmanten Soziopathen läufst...«
»Merkst du nicht, dass du zu spät kommst? Du redest von jemandem, den ich seit meinem sechsten Lebensjahr kenne. Ich kenne ihn. Du bist ihm gerade zweimal begegnet und willst mir einreden, ich soll vom Zug abspringen. Aber das geht nicht. Ich hab meine Zukunft gesehen; ich kann sie nicht ändern, und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun.«
Gomez wirkt nachdenklich. »Mir wollte er nichts über meine Zukunft sagen.«
»Henry mag dich, er will dir das nicht antun.«
»Bei dir hat er offenbar eine Ausnahme gemacht.«
»Es ging nicht anders, unsere Lebensgeschichten sind miteinander verwoben. Meine ganze Kindheit war seinetwegen anders, und er konnte nichts daran ändern. Er hat sich große Mühe gegeben.« Charisses Schlüssel dreht sich im Schloss.
»Clare, sei nicht böse, ich versuche dir nur zu helfen...«
Ich lächle ihn an. »Du kannst uns helfen. Wart’s ab.«
Charisse kommt hustend herein. »Na, Süßer. Du hast lange warten müssen.«
»Ich hab mit Clare geplaudert. Über Henry.«
»Du hast ihr bestimmt gesagt, wie sehr du ihn verehrst«, sagt Charisse mit einem drohenden Unterton.
»Ich hab ihr gesagt, sie soll so schnell wie möglich in die andere Richtung fliehen.«
»Ach, Gomez. Clare, hör nicht auf ihn. Sein Männergeschmack ist schrecklich.« Charisse setzt sich steif hin, ein Stück von Gomez entfernt, der nach ihr greift und sie auf seinen Schoß zieht. Sie wirft ihm einen stechenden Blick zu.
»So ist sie immer nach der Kirche.«
»Ich will frühstücken.«
»Natürlich willst du das, mein Täubchen.« Sie stehen auf und huschen durch den Flur zur Küche. Wenig später stößt Charisse spitze Schreie aus, als Gomez ihr mit dem Times Magazine den Hintern versohlen will. Seufzend gehe ich in mein Zimmer. Die Sonne scheint immer noch. Im Bad lasse ich heißes Wasser in die große alte Wanne ein und lege die Kleider der letzten Nacht ab. Beim Hineinsteigen erhasche ich einen Blick von mir im Spiegel. Ich wirke fast etwas rundlich. Das freut mich grenzenlos; ich lasse mich ins Wasser sinken und komme mir vor wie eine Odaliske von Ingres. Henry liebt mich. Henry ist hier, endlich, jetzt, endlich. Und ich liebe ihn. Ich streiche mit den Händen über meine Brüste, und ein dünner Speichelfilm verflüssigt sich im Wasser und löst sich auf. Warum muss alles kompliziert sein? Liegt der komplizierte Teil nicht langsam hinter uns? Ich tauche meine Haare ein und beobachte, wie sie mich umschweben, dunkel und netzartig. Ich habe Henry nie gewählt, er hat mich nie gewählt. Wie könnte es also ein Fehler sein ? Wieder muss ich mich mit der Tatsache abfinden, dass wir es nicht wissen können. Ich liege in der Wanne und starre auf die Kacheln über meinen Füßen, bis das Wasser fast kalt ist. Charisse klopft an die Tür und fragt, ob ich ertrunken bin und ob sie sich bitte die Zähne putzen kann. Als ich mir ein Handtuch um die Haare schlinge, erblicke ich mich durch den Dampf verschwommen im Spiegel, und die Zeit scheint sich übereinander zu falten, ich sehe mich als Anhäufung meiner gelebten Tage und Jahre sowie der Zeit, die noch kommt, und
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