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Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)

Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)

Titel: Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Townsend
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angefangen zu glauben, dass sie das Zentrum ihres kleinen Universums war. Sie würde Alexander sagen, er solle seine Kinder nehmen und nach Hause gehen.
    Sie fragte sich, ob sie es ohne Alexanders Liebe und Fürsorglichkeit schaffen würde. Sie musste den schmerzlichen Gedanken an ein Leben in ihrem selbst auferlegten Gefängnis ohne ihn verdrängen.
    Sie setzte ihre Übungen mit gestreckten Beinen fort. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben …

58
    Hos Eltern, Mr. und Mrs. Lin, liefen den staubigen schmalen Gehweg an einer achtspurigen Schnellstraße entlang.
    Sie redeten nicht. Der Straßenlärm war zu laut.
    Vor zwei Jahren hatte es die Schnellstraße noch nicht gegeben. Es war eine Gegend mit einstöckigen Gebäuden, Läden und Werkstätten gewesen, Gassen und geheimnisvollen Gängen, wo die Leute ihr Leben vor den Augen ihrer Nachbarn bestritten. Privatsphäre hatte es nicht gegeben. Wenn ein Nachbar hustete, hörten es alle, und Feiertage wurden gemeinsam begangen.
    Sie bogen ab und gingen an einem neuen Hochhauskomplex und einem Autohaus vorbei, wo glänzende Neuwagen zum Verkauf angeboten wurden. Sie kamen zu einem Vorhof mit Elektrorollern, die nach Farben geordnet aufgereiht waren. Mr. Lin hatte sich schon immer einen Roller gewünscht. Er fuhr mit der Hand über Lenker und Sitz eines Rollers in seiner Lieblingsfarbe – aquamarinblau.
    Als sie weitergingen, sagte Mrs. Lin: »Sieh nur, die alten Fahrräder.«
    Hinter einem Maschendrahtzaun mit Sicherheitsleuchten standen Hunderte davon.
    Sie lachten, und Mrs. Lin sagte: »Wer würde auf die Idee kommen, alte Fahrräder zu stehlen?«
    Sie bogen um eine Ecke und befanden sich in ihrer alten Straße. Der Schutt war immer noch nicht weggeräumt. Sie gingen an der Stelle vorbei, wo sie neunzehn Jahre gewohnt hatten, wo Ho sicher in den autofreien Gassen gespielt hatte. Nur fünf der ursprünglichen Häuser waren noch bewohnt. Eines gehörte dem Geldverleiher Mr. Qu. Es gab Gerüchte, dass Mr. Qu Beziehungen zum Pekinger Fremdenverkehrsamt hatte und dass er den Planierraupenfahrer bestochen hatte, damit er vor seinem Haus Halt machte. Mr. Qu fürchtete die professionellen Geldverleiher, die ihm das Geschäft verdarben.
    Mr. Lin blieb vor der offenen Tür stehen und rief leise: »Sind Sie da, Mr. Qu? Hier ist Mr. Lin, ihr alter Nachbar.«
    Mr. Qu kam an die Tür und begrüßte sie. »Ha!«, sagte er. »Wie gefällt es Ihnen so, im Himmel zu wohnen, bei den Vögeln?«
    Die Lins waren stolze Leute.
    »Es ist gut«, sagte Mrs. Lin, »besser, als am Boden zu wohnen, bei den Hunden.«
    Mr. Qu lachte höflich.
    Mr. Lin hatte den Geldverleiher nie leiden können. Er fand, dass die Zinsen, die er von seinen Kunden verlangte, Wucher waren. Doch er hatte viele Banken aufgesucht, und jede einzelne hatte ihm ein Darlehen verweigert. Er hatte beteuert, dass er sich einen zweiten Job suchen würde und Tag und Nacht arbeiten, um das neue Peking aufzubauen. Aber er war so gebrechlich, das Fleisch um sein Gesicht so eingefallen, dass er aussah, als würden ihn seine Ahnen jeden Moment zu sich holen. Kein Bankangestellter glaubte, er würde lange genug leben, um seine Schulden abzuzahlen.
    Mr. Qu fragte: »Wie geht es Ho in England?«
    Mrs. Lin sagte: »Es geht ihm sehr gut. Er lernt fleißig und hat gute Noten.«
    »Sind Sie privat oder geschäftlich hier?«, sagte Mr. Qu.
    »Geschäftlich«, sagte Mr. Lin.
    Mr. Qu führte sie in das kleine Haus und bat sie, sich zu setzen. Er bedeutete Mr. Lin fortzufahren.
    Mr. Lin sagte: »Wir haben unvorhergesehene Kosten. Die Familie. Eine Überschwemmung auf dem Land.«
    »Höchst bedauerlich«, murmelte Mr. Qu. »Wie hoch genau sind diese Kosten?«
    Mrs. Lin sagte: »Ein Fußboden muss ersetzt werden, Matratzen, ein Herd, Kleider für acht Leute, ein Fernseher. Außerdem …«
    Mr. Lin sagte: »Sagen wir fünfzehntausend US-Dollar.«
    Mr. Qu lachte fröhlich und sagte: »Ein erheblicher Betrag. Und haben Sie eine Sicherheit?«
    Mr. Lin war vorbereitet. »Unser Ho. In sechs Jahren ist er Arzt. Ausgebildet an einer englischen Universität. Er wird es Ihnen zurückzahlen.«
    Mr. Qu nickte. »Aber vorerst ist er nur ein Medizinstudent im ersten Jahr … so viele brechen das Studium ab, bringen Schande über ihre Eltern.«
    Mrs. Lin ereiferte sich: »Nicht Ho. Er weiß, welche Opfer wir gebracht haben.«
    Mr. Qu sagte: »Um die Zeitspanne auszugleichen, bis ich Rendite mache … ein Zinssatz von dreißig Prozent.«
    Mr. Lin sagte: »Sie

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