Die Frau die nie fror
Sie. Warum sollte Ihr Freund, dieser John, einwilligen, Sie mit auf seine geheim gehaltenen Fahrten zu nehmen?«
»Ich bin eine alte Freundin. Er mag mich. Wir kennen uns schon ziemlich lange.«
Parnell schnauft. »Das reicht nicht.«
»Wird es aber, wenn ich hinzufüge, dass ich weiß, was los ist. Ich werde sagen, Ned hätte vor seinem Tod Thomasina die ganze Geschichte erzählt, und sie wäre schließlich eingeknickt und hätte sie mir weitererzählt. Johnny wird keine Schwierigkeiten haben zu glauben, dass Thomasina Neds Geheimnisse ausplaudert. Ich werde ihm sagen, ich will auf Waljagd gehen, weil ich mich langweile und unbedingt mal wieder etwas Aufregung in mein Leben bringen muss. Es wird ihm nicht schwerfallen, auch das zu glauben. Wenn ich’s mir recht überlege, habe ich ihm schon mal erzählt, dass ich noch mal auf Fischfang gehen wollte, um so meine posttraumatische Belastungsstörung in den Griff zu bekommen. Aber glauben Sie mir, er wird nicht lange darüber nachdenken. Als ich sagte, er mag mich, meinte ich, er mag mich sehr . Genau genommen bin ich ziemlich sicher, dass er jede Gelegenheit beim Schopf ergreifen wird, mich mitzunehmen.«
Parnells Augen blitzen klug, als er über die Vorzüge meiner Idee nachdenkt. »Und wenn Sie sich irren?«
»Tue ich nicht. Johnny hat keinerlei Veranlassung, mir zu misstrauen. Ich bin das im Kopf schon Hunderte Male durchgegangen.«
Bei einem kurzen Blick aus dem Fenster, ich betrachte die im morgendlichen Sonnenschein vorbeifahrenden Autos, kommt mir der Typ vor dem Bank of America Pavilion in den Sinn, das braune Auto, das in der Nähe des Cafés an der Beacon Street parkte. Aber ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen, in dem braunen Auto saß niemand, als ich vorbeiging, und es ist mir auch nicht gefolgt. Das waren nur die Nerven, mehr nicht. Ein sich anschleichendes, Angst schürendes Unbehagen. Das gleiche Gefühl hatte ich auch, als ich mit Mrs Smith um den Jamaica Pond spazierte, nur dass es an diesem Abend nicht mal ein bestimmtes Auto oder eine konkrete Person gab, die irgendwie suspekt gewesen wären.
Ich wende mich wieder Parnell zu und spreche aus, was keiner von uns aussprechen will. »Wenn er mich verdächtigen würde, dann würde er mich trotzdem mitnehmen, einfach um mich davon abzuhalten, mit den falschen Leuten zu reden.«
Parnell schiebt seinen Becher mit einer heftigen Bewegung von sich weg. »Dann säßen Sie also auf einem Schiff mit einem Kerl fest, der Sie loswerden möchte.« Den Rest lässt er unausgesprochen.
»Ja. Aber ich glaube nicht, dass es so kommen wird, und andere Möglichkeiten sehe ich nicht.« Ich kenne die damit verbundenen Risiken genau. Mein Herz ist quasi stehen geblieben bei der Aussicht, schon wieder ein verlorener menschlicher Punkt auf dem weiten Meer zu sein, meine Arme winken noch eine Weile, dann sind sie weg. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie schwarz es unter Wasser ist, wie schauerlich kalt. Tatsächlich macht mir nichts mehr Angst als der Gedanke an das, was Parnell andeutet. Trotzdem kann ich nicht aufhören, daran zu denken, auf der Sea Wolf zu sein, kann nicht davor weglaufen, wie es ein vernünftigerer Mensch wohl tun würde. Seit dem Zusammenstoß hege ich die starrsinnige Überzeugung, dass es dort draußen auf dem Meer noch mehr für mich zu tun gibt, und dieses Gefühl wird von Tag zu Tag stärker. Irgendetwas tief in mir drängt mich wieder hinaus aufs Meer.
»Sie haben selbst gesagt, dass dieser Kerl gefährlich ist«, sagt Parnell streng. Seine Strenge fühlt sich nett an.
»Egal, ich habe Bilder.«
»Bilder?«
Ich nehme mein Telefon heraus und hole die Fotos auf den Bildschirm. »Einer von Johnnys Freunden ist in meine Wohnung eingebrochen, er heißt Max. Ich bin ziemlich sicher, dass er nach Fotos gesucht hat, die Ned kurz vor seinem Tod auf das Mobiltelefon seines Sohnes geschickt hat. Max hat das Telefon nicht gefunden, aber etwas später dann ich. Niemand außer mir und Noah und jetzt Ihnen weiß, dass die Fotos von Noahs Telefon auf meinen Computer und mein Telefon bewegt wurden. Schauen Sie mal. Diese drei Fotos wurden irgendwo an einem Strand geschossen.«
Ich schiebe mein Telefon über den Tisch.
Er beugt sich vor und starrt auf den Bildschirm, als würde er blind. »Wo ist das? Was sind das für Dinger?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Was ist mit den beiden anderen Aufnahmen?«
»Das Gleiche. Ich schicke sie Ihnen jetzt auf Ihr Telefon. Johnny muss
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