Die Frau die nie fror
erfüllt.
»Was kann ich denn tun?«
»Du fragst mich, was du tun kannst?« Eine seiner nervigsten Angewohnheiten ist die Art, wie er eine dumme Frage, die man gerade gestellt hat, mit einer Stimme wiederholt, mit der sie sich zehnmal dümmer anhört.
»Was ich damit sagen will, Milosa, ist: Das ist nicht meine Aufgabe.«
Pause. Er lässt mich hören, wie meine Passivität klingt. »Erinnerst du dich an Der Malteserfalke ?«
Oh, noch so eine Sache, die Milosa in seinem Büro im zweiten Stock tut: Er schaut Kriminalfilme. Keine Thriller mit vollbusigen, keuchenden Damen und billigen Special Effects, sondern Detektivfilme, wo der Protagonist nachdenken muss.
»Es ist zwei Uhr nachts. Worauf willst du hinaus?«, frage ich.
»Sam Spade hat gesagt: ›Wenn der Partner eines Mannes ermordet wird, muss dieser Mann etwas tun.‹«
Ich stöhne. »Bitte, Milosa. Geh ins Bett. Stell den Brandy weg und geh ins Bett.« Ich hänge auf und schalte das Licht aus. Lasse mich in die Kissen fallen, wälze mich hin und her und komme mit einem großen Seufzer zur Ruhe, die Augen weit offen. Die Scheinwerferlichter eines vorbeifahrenden Autos flackern über die Zimmerdecke. Ich warte auf die nächsten tastenden Scheinwerfer. Da sind sie. Ich fange an, die Wagen zu zählen, die unten auf der Straße vorbeifahren. Als ich bei zehn angekommen bin, fluche ich und schlage die Bettdecke zurück. Ich schlurfe in die Küche, öffne die Tür des Kühlschranks und stehe barfuß im gelben Schein des Lichtes. Sam Spade , denke ich, als ich nach dem Orangensaft greife. Himmel, was für ein Scheiß .
Kapitel 6
U m neun Uhr morgens rufe ich von meinem Büro bei Inessa Mark die Küstenwache an. Ich werde zu Captain Anthony Cavalieri, Stabschef der US Coast Guard First District, durchgestellt. Er entschuldigt sich dafür, mich nicht früher angerufen zu haben. Der erste Unfallbericht vom 7. September ist geprüft worden. Es gibt einige Komplikationen, einige Bedenken. Er würde mich gern bitten, zu ihm auf die Station zu kommen, um einen detaillierteren Bericht abzugeben. Dann stellt er mich zurück zu seiner Sekretärin, die mir sagt, er hätte um drei Uhr eine Lücke in seinem Terminplan.
Mein Magen verkrampft sich. Komplikationen, Bedenken. Jeden Tag seit dem Unglück habe ich auf den Anruf der Küstenwache gewartet, auf die Nachricht, sie hätten den Frachter gefunden und würden nun offizielle Strafmaßnahmen einleiten. Stattdessen stelle ich fest, dass mysteriöse Probleme aufgetaucht sind und man sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, mich zu informieren. Ich bin froh, dass ich mich heute Morgen für die Arbeit ordentlich angezogen habe: ein schwarzes Wollkleid, das die Knie bedeckt, schwarze Strumpfhosen und knöchelhohe Stiefel aus weichem, jägergrünem Wildleder. Eine indigoblaue, einreihige Jil-Sander-Jacke mit gesittetem, rundem Kragen, Mikimoto-Perlenohrringe, das Haar in einem weichen Knoten im Nacken. Klamotten (außer den Stiefeln), die mich daran erinnern, dass ich mich benehmen muss.
Am Nachmittag verlasse ich das Büro und versuche mir auf dem Weg in die Innenstadt ins Gedächtnis zu rufen, was ich am Tag des Unfalls gesagt habe, als ich eine Stunde lang von einem schüchternen Beamten mit rotblonden Locken und liebenswert pummeligen Händen vernommen wurde. Er stellte Fragen über Fragen, teilweise im Kreis, um dann zu derselben Frage, nur etwas anders formuliert, zurückzukehren, weswegen ich mir später überlegt hatte, ob er wohl in Befragungsmethoden geschult worden war. Es hatte den Anschein, als notiere er sich Berge von Informationen, viel mehr, als ich tatsächlich gegeben hatte, und er beobachtete mich manchmal mit rotgerändertem, freundschaftlichem Blick.
Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich ihm erzählt habe. Ich fühlte mich leicht durchgedreht, als hätte ich einige Gläser Sekt getrunken. Ich wusste, sie hatten Ned nicht gefunden, doch was das bedeutete, war noch nicht in mein Bewusstsein vorgedrungen. Stattdessen kam bei mir in unregelmäßigen Abständen der angenehm diffuse Gedanke auf, dass Ned einfach irgendwann demnächst auftauchen würde. Wenn ich ihn sähe, würden wir erleichtert lachen. Das ist vielleicht ein Tag gewesen! Auch das Wunder meiner eigenen Rettung war mir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar. Mir gefiel es, dass die Jungs so ein großes Getue um mich machten, aber warum sie immer wieder sagten, ich sei unglaublich, begriff ich nicht. Mir wurde eine überzählige Uniform
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