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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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so.« Sie gibt mir den zweiten Teststreifen. »Versuch mal den hier.«
    Ich schließe die Augen und hole Luft. Mit diesem hat Jean-Luc genau das umgesetzt, was Maureen wollte. Frische Sommer­luft, Erdbeerkuchen und Kaugummi. Der Duft besitzt keine Un­tertöne, ist uninteressant und fade. Er ist so frei von Sehnsucht, so bar jeden Verlangens und jeglicher Lust, so zurückhaltend nett, dass ich vor Langeweile schreien könnte. Ich lächle und gebe ihn ihr zurück. »Das ist er. Perfekt für eine Zwölfjährige.«
    Maureen strahlt zufrieden. »Ganz meine Meinung!«
    Die jungen Frauen drängen sich um Maureen, riechen an dem Papierstreifen und quieken vor gespieltem Entzücken.
    »Danke für die gute Zusammenarbeit, Jean-Luc«, sage ich trocken.
    Er nickt in all seinem Jammer.
    Milosa bittet nicht darum, Inessa Marks neuen Duft riechen zu dürfen. Als die Aufmerksamkeit sich John Rodgers und seinen Verpackungen zuwendet, verlässt er den Konferenzraum. Ich folge ihm kurze Zeit später.
    *
    Milosa hat ein Eckbüro im hinteren Teil des Gebäudes. Von dort aus sieht man eine schmale Gasse, einen kleinen geteerten Parkplatz, vollgestopft mit Autos und Mülltonnen, und eine Häuserwand aus Backsteinen mit im Zickzack verlaufenden, rostigen Feuerleitern. Ich weiß das nur von den wenigen Malen, an denen die Lamellenvorhänge zurückgezogen waren. Normalerweise sind sie geschlossen, so wie jetzt, und verdunkeln das Zimmer. Auf seinem wuchtigen Schreibtisch steht eine verspielte Lampe im Rokokostil, die für ein gedämpftes, gelbliches Licht sorgt, das die Wände noch enger zusammenrücken lässt. Schon nach kurzer Zeit fühle ich mich in diesem Raum eingesperrt.
    Milosa sitzt am Computer, mit dem Rücken zu mir. Ich muss mehrmals Hallo sagen, bevor er mich registriert. Schließlich dreht er sich um und gibt mir zu verstehen, dass ich mich setzen soll. Einer längst sinnlos gewordenen Gewohnheit folgend, an der ich nur aus purer Sturheit festhalte, lege ich die Füße auf den geschnitzten Couchtisch aus schwarzem Walnussholz.
    Wir plaudern oberflächlich nett über den neuen Duft und über die Reise nach Genf, die Maureen und er unternehmen wollen. Irgendetwas ist mit ihm. Es fällt mir nicht zum ersten Mal auf. Beim Abendessen vergangene Woche waren seine Augen glasig. Ich war davon ausgegangen, das sei vorübergehend, was aber nicht der Fall ist. Jetzt fällt sie mir wieder auf, diese Mattheit. Eine Schlaffheit in seinem sonst so straffen Gesicht, eine fast unmerklich geringere Körperspannung. Es ist nur eine Nuance, aber er ist nicht ganz das gewohnte Alphamännchen. Obwohl mein Leben mit Milosa ein ständiger Kampf war, habe ich ihn immer als würdigen Gegner respektiert. Weshalb mich seine Schwäche beunruhigt. Ich frage mich, ob er wohl krank ist, ob ihn die Depression, die ihm immer dicht auf den Fersen war, am Ende einholt. Oder ob es nur das schrittweise Nachlassen ist, das zum Altern gehört. Es ist sinnlos nachzufragen, denn Gebrechlichkeit lehnt er aus Prinzip ab.
    Es dauert nicht lange, bis er sich erkundigt, ob das Schiff schon gefunden wurde, das die Molly Jones versenkt hat.
    Ich schildere ihm die kraftlose Ermittlung der Küstenwache und Johnnys Schlussfolgerung, dass die Kollision eine Form von maritimer Fahrerflucht war. Milosa hört mit halb geschlossenen Augen zu, das ist seine Art, sein ausgeprägtes Interesse zu verbergen. Ich erzähle von den Schiffspapieren, die Thomasina gefunden hat, und was ich von Mrs Smith über Bonuszahlungen und inoffizielle Fahrten erfahren habe. Bei diesen Worten strafft sich sein Rücken, und die Augen beginnen zu funkeln.
    In seinen besten Jahren lebte Milosa immer hart am Abgrund: Romantische Leidenschaft und Hurerei schlossen sich nicht aus, denn erst beides zusammen machte das Leben für ihn aufregend und intensiv. Ein Geschäft war erst dann interessant, wenn man dabei die Regierung bescheißen oder einen Mitbewerber aufs Kreuz legen konnte. Mein gewaltsam herbeigeführtes Beinahe-Ertrinken und aberwitziges Überleben beflügelte schon seine Phantasie. Und jetzt das. Eine Ansammlung von Spuren und Widersprüchen stellt für ihn genau die Art Problem dar, die ihn sich lebendig fühlen lässt. Aufgeregt trommeln seine Finger auf den Schreibtisch.
    »Ganz offensichtlich«, schlussfolgert er, »wurde dein Freund mit dem Boot bestochen, damit er niemand erzählt, was draußen auf den Fahrten passiert ist. Und … hast du daran schon gedacht? Es war kein Unfall. Der Tod

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