Die Frau die nie fror
deines Freundes war Mord.«
»Der erste Teil mag ja stimmen, aber der zweite Teil ist lächerlich.«
»Aber darüber nachgedacht hast du.«
»Ja, hab ich. Aber es ergibt keinen Sinn. Warum sollte eine Firma in der einen Woche ihren Angestellten bestechen und in der nächsten bringt sie ihn um? Warum beseitigt man ihn nicht sofort? Außerdem gibt es einfachere Möglichkeiten, einen Menschen umzubringen, als bei dichtem Nebel in seinen Hummerkutter zu brettern.« Ich sage nicht, und dann wäre da noch eine Kleinigkeit: ich. Warum noch eine zweite Person töten?
Milosa schnaubt verächtlich. »Verzweifelte Leute sind zu allem fähig. Zu allem . Ich hab’s gesehen. Ich habe unter Stalin gelebt. Ich habe Dinge gesehen, die jeden Rahmen sprengen, die unbegreiflich sind. Eure Schwäche – die Schwäche eures verweichlichten amerikanischen Lebens – ist, dass ihr meint, alle Menschen wären wie ihr, dass Vernunft für alles in der Welt eine Erklärung bereithält. Ihr erwartet, dass zwei plus zwei gleich vier ist. Aber so ist das nicht. Es ist gleich dem, was die Mächtigen sagen. Wenn sie sagen, es ist hundertundacht, dann werden die Mathematiker das beweisen. Wenn sie Kleinholz aus dem Fischerboot eines Mannes machen wollen, dann gibt es nichts, was sie aufhalten könnte.«
»Aber es gibt keine Beweise für ein Verbrechen.« Meine Stimme ist dünn. In Wahrheit macht es mir Angst, wenn Milosa so redet.
Er zuckt gleichgültig mit den Achseln. »Du und deine Beweise. Verrat mir doch mal, wie du schläfst? Wie fühlt’s sich hier drinnen an?« Er klopft sich mit den Fingerspitzen auf die Brust.
»Mulmig.«
»Genau.« Seine Augen glitzern dunkel. »Finde das Schiff. Finde die Sea Wolf .« Sein Mund klappt zu. Für ihn ist damit alles gesagt.
Ich wünschte, er hätte mir genau das Gegenteil geraten. Dass er sich wenigstens einmal wie ein normaler Vater verhält und nicht möchte, dass ich mich in Gefahr begebe. Aber er hat sich seinen Erfolg als Einwanderer erarbeitet, hat Tag für Tag gekämpft, um jeden einzelnen Zentimeter, und von seiner Tochter erwartet er genau dasselbe. Ich seufze resigniert. Seine Einstellung hat auch Vorteile, schätze ich. Mit einem überraschenden Anflug von Dankbarkeit begreife ich, dass mir gefällt, wie er an mich glaubt, wie er keine Zeit verplempert.
Ich nehme meine Füße vom Couchtisch.
Er hält mir eine mit Leder bezogene Kiste hin und bietet mir eine Zigarre an. Ich nehme sie. Er gibt zuerst mir Feuer, dann sich selbst. Seit meinem sechzehnten Geburtstag rauchen wir zusammen Zigarre. Allerdings nur bei wichtigen Anlässen. Wir paffen schweigend. Als der blaue Rauch um unsere Köpfe wabert und unsere Nasengänge mit dem heißen, schlammigen Duft von kubanischem Tabak gefüllt sind, schneidet er ein Thema an, mit dem ich niemals gerechnet hätte. »Ich bin grausam zu Maureen gewesen. Heute weiß ich, was für ein Verbrechen es ist, nicht aus Liebe zu heiraten.« Er macht eine Pause, scheint abzuwägen, wie viel mehr noch zu sagen ist. »Maureen hat Angst vor dir. Du hast einen Sinn für Düfte, der ihr fehlt, und sie weiß, dass du von ihrer Arbeit nicht viel hältst. Sie macht sich Sorgen, dass du sie feuern wirst, wenn du die Firma übernimmst.«
»Durchaus möglich.«
Er blinzelt mich an, atmet durch die Nase aus. »Sie ist seit über zwanzig Jahren hier. Die Firma ist ihr Leben. Sie verdient wirklich mehr Respekt.«
»Respekt? Die Produkte, die sie kreiert, sind Müll. Sweet Surprise? Das ist einfach nur peinlich.«
»Ihre Produkte bezahlen die Rechnungen.«
Mein Puls beschleunigt sich, mein Gesicht wird heiß. »Mag ja alles sein. Aber Maureen hat weder Talent noch eine Vision, was die Firma angeht. Sie ist Managerin. Was anderes ist sie nie gewesen, und mehr wird sie auch nie sein. Nach Mutters Tod hast du ihr in diesem Unternehmen eine größere Position eingeräumt, als sie verdiente. Und jetzt hat sie natürlich Angst zu verlieren, was ihr sowieso nie zustand.«
»Was hätte ich denn tun sollen? Welche Wahl hatte ich? Ich habe ihr die Position gegeben, die deine Mutter zuvor hatte, und sie hat sie sich angeeignet.«
Mein Herz ist in diesem Moment ein wildes Durcheinander von Gefühlen. Als hätte jemand den Deckel eines brodelnden Kochtopfes abgehoben. »Wo wir gerade bei der Wahrheit sind, da ist etwas, das ich dich immer schon fragen wollte. Hast du mit Maureen eigentlich schon gevögelt, als meine Mutter noch lebte?«
Seine Gesichtsfarbe verändert sich
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