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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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hängt schlaff durch.
    Ganz in der Nähe beladen zwei Burschen einen Kleinlastwagen mit Plastikkisten voll gefrorenem Fisch. Ich gehe hinüber, warte einen Moment, damit ich nicht aufdringlich erscheine, und rufe ihnen dann zu, ich suchte nach einem Schiff. Einer der Typen schaut auf, arbeitet aber weiter. Der andere wischt sich mit einem dreckigen Lappen Schweiß vom Gesicht und kommt zu mir herüber. »Ach ja? Welches Schiff?«
    »Die Sea Wolf . Kennen Sie die?«
    »Ja, klar. Das ist ein Fangschiff von Ocean Catch. Die geht schon seit Ewigkeiten hier vom Boston Harbor aus auf Fahrt. Jedenfalls auch schon lange vor meiner Zeit.«
    Er sieht aus wie ungefähr fünfundzwanzig. Ich frage, ob er weiß, wo das Schiff jetzt ist.
    »Im Trockendock, da bin ich ziemlich sicher. Ist mit irgendeinem Problem eingelaufen. Die haben sie schon vor ein paar Wochen hier rausgeschleppt.«
    »Irgendeine Idee, was das Problem gewesen sein könnte?«
    »Nein, Ma’am.«
    Ich frage ihn, wo das Trockendock ist. Er sagt, es gibt mehrere, aber ich soll es zuerst mit Drydock #3 an der Drydock Avenue versuchen. Als ich zu meinem Auto zurückgehe, fällt mir auf, dass die zwei Pärchen verschwunden sind, die es sich unter dem Sonnensegel des Bank of America Pavilion gemütlich gemacht hatten. Jetzt sitzt nur noch der Mann dort, mit Blick auf den Hafen und die Skyline. Ich sehe genauer hin. Vielleicht liegt es daran, wie er seine Jacke zugeknöpft, den Kragen aufgestellt und die Baseballkappe tief in die Stirn gezogen hat – so kalt ist es nun auch wieder nicht. Ich starre ihn ein paar Herzschläge zu lange an, bis ich spüre, dass die Augen, die von der Kappe verschattet werden, genau auf mich gerichtet sind. Beziehungsweise waren. Im selben Moment ist er auch schon auf den Füßen und geht.
    Angst überfällt mich und lässt mich erstarren. Um ihm zu folgen, müsste ich bis zum Ende des Fischpiers laufen und dann die Northern Ave entlang bis zu den Toren des Pavilion. Bis dahin wäre er allerdings längst fort. Aber, was rede ich da überhaupt? Der Typ hat schließlich nichts anderes getan, als mich anzusehen und dann wegzugehen. Das ist nicht verboten.
    Ich mache noch eine Dummheit, wenn ich weiter so nervös bin.
    *
    Der Boden von Drydock #3 ist braun und sieht matschig aus. Boote, die gerade repariert werden, ruhen auf riesigen Holz­­gestellen, die wie Dinosaurierrippen aussehen, und an ihren Rümpfen lehnen Leitern. Rostige Teile liegen herum wie einzel­ne Knochen: verbogene Relings, verzogene Blätter von Schiffs­schrau­ben.
    Ich finde die Sea Wolf in der Nähe des Eingangs. Sie sieht besser aus als ihre Nachbarn, sticht aber auch nicht hervor. Ich umrunde sie ein paarmal und blicke zu ihrem wuchtigen Rumpf auf – der schwarze Unterwasserbereich, die weiße Wasserlinie und die roten Stahlseiten, über die sich in regelmäßigen Abständen schwarze Bullaugen klein wie Schweinsaugen erstrecken. Am Heck befinden sich Aufbauten in der Höhe von zwei bis drei Stockwerken, während die vorderen zwei Drittel des Schiffes flacher sind. Auf der Steuerbordseite ist eine unregelmäßige, etwa drei mal drei Meter große Aussparung, die sich vom Deck bis zur Wasserlinie zieht. Von hier aus kann ich nicht viel mehr erkennen.
    Ein Mann taucht aus dem Büro der Direktion auf und kommt in meine Richtung geschlendert. Gebeugter Rücken, strähniges Haar, dicker Bierbauch über kurzen Beinen und Klamotten in den Farben Teer und Rost. Er sieht aus, als hätte er sich über die Jahre allmählich seiner Umgebung angepasst und wäre nun ein integraler Bestandteil von ihr, so wie ein Troll unter eine Brücke gehört.
    »Schönes Schiff, hm?«, fragt er. Er mustert meine Kleidung, mein Gesicht, mein Haar – versucht, schlau aus mir zu werden, allerdings ohne allzu viel Erfolg.
    »Ja? Ich verstehe nicht viel davon. Auf mich wirkt’s einfach nur riesig.«
    »Kein Fischer, nehme ich an.«
    »Zumindest nicht auf einem Pott wie dem.«
    »Was führt Sie her?«
    »Die Schule.«
    »Ach, tatsächlich?« Er sieht mich überrascht an. Damit hat er nicht gerechnet.
    »Ja, ich überlege, ob ich mit meinen Viertklässlern mal her­kommen soll, damit sie sich ein Bild von der industriell be­trie­benen Hochseefischerei machen können. Als Teil einer Lerneinheit über die Ressourcen unseres Landes und seine In­dustrie.«
    »Tja, ein Schiff wie das hier wäre da sicher ein guter Anfang. Ist ein echtes Arbeitspferd, da wird richtig was produziert. Fünfzig Meter

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