Die Frau die nie fror
Versicherungen würden immer nur nach Gründen suchen, sich vor der Regulierung eines Schadens zu drücken.« Ein Anflug von Gekränktheit hat sich in seine Augen geschlichen. Der arme, missverstandene Versicherungsmann.
»Seien Sie mir nicht böse, aber genau so ist es doch.«
Er zwinkert plötzlich und redet weiter, als hätte er mich nicht gehört. »Wenn die Leute merken, dass man in einem Schadensfall ermittelt, machen sie dicht. So wie Sie.«
»Ich wusste nichts von Ihrem Job. Kein Wort haben Sie gesagt, erinnern Sie sich? Ich habe mit Ihnen nicht über die Kollision gesprochen, weil ich nach der Beisetzung emotional völlig fertig war. Mir war einfach nicht danach, mein ganz persönliches Trauma auszupacken, nur um die Neugier eines Fremden zu befriedigen.«
»Ich dachte, wir hätten uns ein wenig kennengelernt.«
»Sie meinen, Sie haben mich angequatscht in der Hoffnung, dass ich Ihnen etwas erzähle.«
Er macht das passende, betretene Gesicht. »’tschuldigung.«
»’tschuldigung? Sie platzen in eine Beerdigung, baggern eine Frau an, um an Informationen zu kommen, damit Sie in einem Versicherungsfall nicht zu zahlen brauchen, und alles, was Ihnen einfällt, ist ’tschuldigung ?«
Er zuckt die Achseln. »Was bleibt mir anders übrig?«
»Da fallen mir direkt ein paar Dinge ein. Sie könnten mir zum Beispiel verraten, wer den Schaden eingereicht hat, da der Besitzer des Bootes, und damit höchstwahrscheinlich der Versicherungsnehmer, viel zu tot ist, um das zu tun.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Blödsinn. Warum sollte das geheim sein?«
»’tschuldigung. Schon wieder. Sehen Sie? Ich habe keine Wahl.«
Ich trinke einen Schluck Kaffee. Ich frage mich, ob Phyllis versucht, die Versicherungssumme zu kassieren. Präsentiert sie sich als nächste Angehörige, um Thomasina und Noah auszubooten? Zutrauen würde ich ihr das. »Ist Ihnen klar, dass Ned Rizzo einen zehnjährigen Sohn hat? Wenn jemand eine Versicherungssumme für die Molly Jones bekommen sollte, dann das Kind. Passen Sie auf, dass Sie nicht in einen Versicherungsbetrug verwickelt werden.«
Larry Wozniak schaut zur Seite und presst die Lippen aufeinander. Schließlich sagt er: »Wir haben mehr gemeinsam, als Sie denken. Sie würden mir sehr helfen, wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten.«
»Welche denn zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, warum Rizzo bei Ocean Catch aufgehört hat.«
»Lustig, das wüsste ich auch gern. Ich weiß, warum ich es gerne wüsste, aber wieso sollte das eine Versicherung interessieren?«
»Hat er mit Ihnen mal darüber gesprochen, warum er gegangen ist? Hat er mal erwähnt, was er dort genau macht?« Im Führen von Interviews ist er anscheinend geübt: Er beantwortet locker eine Frage mit einer Gegenfrage.
»Wenn ich eine Antwort darauf hätte, wüsste ich gern mehr, bevor ich sie mit irgendwem teile.«
»Haben Sie denn eine Antwort?« Seine Augen scheinen kleiner geworden zu sein, schwerer zu lesen.
»Nein. Ich habe keine Ahnung, warum Ned Rizzo gekündigt hat.«
Stirnrunzelnd blickt er auf seine Tasse.
Ich betrachte sein breites Gesicht genauer. Dunkle, schön geschwungene Augenbrauen. Eine runde Nase, so wie Kinder sie aus Ton formen würden. Ein angespannter, markanter Mund, ein etwas unscheinbares Kinn. Es ist ein Gesicht, an dem man in einer Menschenmenge vorbeigeht, das jedoch interessanter wird, je länger man ihm gegenübersitzt.
»Ich weiß schon das ein oder andere, das für Sie von Interesse sein könnte«, sage ich. »Aber Sie bekommen es von mir nur unter der Bedingung, dass Sie mir zuerst auf meine Fragen antworten. Wenn wir gemeinsame Interessen verfolgen, warum zögern Sie dann?«
Er wiegt kaum merklich den Kopf. Kein Nein, kein Ja. Er scheint ein wenig überfordert, so als hätte er nicht erwartet, dass sich die Unterhaltung in diese Richtung entwickelt, und als hätte er keinen Plan B. Dann hebt er seinen gelähmten Arm vom Schoß auf den Tisch. Wie eine traurige Plastiknachbildung liegt seine Hand nun da. Falls er auf Mitleid aus ist, bin ich die Falsche. Aber ich bin neugierig.
»Wie ist das passiert?«, frage ich.
»Ein Unfall«, sagt er.
»Beim Bootfahren?«
»Motorrad. Ich war ein dämlicher Jugendlicher.«
»Sind Sie deshalb in der Versicherungsbranche gelandet?«
Er lacht verlegen. »So hab ich das noch gar nicht gesehen.« Aber er verliert sein Ziel nicht aus den Augen. Er setzt zu einem erneuten Anlauf an. »Hören Sie, wenn ich Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher