Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
eine Hand auf den Mund gepresst.
Jahre zuvor hatte Hayden ihr die Sache mit dem Blut erklärt. »Shakespeare war kein Idiot«, hatte er zu Kate gesagt, als sie die Ponte Umberto I. überquert hatten. Hinter ihr lag ein langer Trainingstag, und ihr Ausbilder führte sie zum Abendessen in eine Trattoria hinter der Engelsburg aus. »Was Lady Macbeth wirklich gequält hat, war Duncans Blut. Und genauso wird es dir auch gehen, wenn du nichts dagegen unternimmst. Fort, verdammter Fleck!«
Kate sah Hayden an. Hinter ihm badete die majestätische Kuppel des Petersdoms im goldenen Licht der untergehenden Sonne. Auch er drehte sich um und betrachtete bewundernd die Kirche.
»Wenn du bestimmte Dinge erst einmal siehst«, fuhr Hayden fort, »wirst du sie nie mehr vergessen. Wenn du sie nicht für den Rest deines Lebens vor Augen haben willst, darfst du gar nicht erst hinsehen.«
Sie kehrten dem Vatikan den Rücken und gingen in Richtung des alten Gefängnisses. »› Aber wer hätte gedacht, dass der alte Mann noch so viel Blut in sich hätte? ‹« Hayden war via Harvard zur CIA gekommen, ebenso wie vor ihm sein Vater und sein Großvater. Vermutlich zitierten sie alle nur Literatur, die mindestens ein paar Hundert Jahre alt war.
»Die haben alle erstaunlich viel Blut«, hatte er zu ihr gesagt.
Fünfzehn Jahre später wurde Kate beim Anblick der durchweichten Küchenrolle klar, weshalb sie einen Familienausflug nach Deutschland geplant hatte.
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Die Kinder waren oben und spielten lautstark Verkleiden. Sie hatten sich Gladiatorenhelme aufgesetzt. Gladiorenhelme, wie sie sie nannten – Kate brachte es nicht über sich, sie zu korrigieren. Wenn sie ihnen diese kindlichen Fehler durchgehen ließ, blieben sie vielleicht länger so klein. Und dann würde sie selbst auch länger jung bleiben.
Kate schloss die Tür zum Gästezimmer und wählte die Nummer.
»Was hast du heute für mich?«
»Hmm … mal sehen. Charlie Chaplin hat einmal an einem Charlie-Chaplin-Ähnlichkeitswettbewerb teilgenommen und ist rausgeflogen. Er hat es nicht einmal bis ins Finale geschafft.«
»Was für eine niedliche Geschichte. Das ist eine Sieben. Oder sogar eine Acht.«
»Herzlichen Dank.«
»Ich plane einen Familientrip nach Bayern.« Kate wusste, dass das Gespräch aufgezeichnet wurde, vielleicht saß sogar irgendwo jemand mit Kopfhörern und rief nach einer Minute seinen Boss an, der wiederum einen Kollegen anrief, worauf sie alle ihre Kopfhörer einstöpselten und sich fragten, worum es bei der Unterhaltung gehen mochte. Schon wieder einer dieser ungewöhnlichen Anrufe von einem privaten Anschluss in Luxemburg im Münchner Büro. »Kannst du mir ein paar Tipps geben?«
»Bayern! Toll. Da habe ich jede Menge Tipps für dich.« Hayden ratterte eine Reihe von Hotels, Restaurants und Sehenswürdigkeiten herunter.
»Ich dachte, wir könnten uns vielleicht treffen«, sagte Kate, als er fertig war.
Falls Hayden argwöhnisch war, ließ er es sich nicht anmerken. Logischerweise.
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»Bonjour?«, drang die unsichere Stimme durch die Gegensprechanlage.
»Hi!«, trompetete Kate in das Mikrofon. »Ich bin’s, Kate!«
Pause. »Kate?«
»Ja!«
»Oh … hi. Komm rauf.«
Der Türöffner summte leise wie ein altersschwacher Toaster. Als Kate nach oben kam, stand Julia in einem Frotteebademantel im Türrahmen und versuchte zu lächeln. Vergeblich. Es war neun Uhr morgens.
»Entschuldige, dass ich nicht angerufen habe, aber es war heute ziemlich stressig.«
»Sei ganz unbesorgt«, sagte Julia. Was für ein merkwürdiger Ausdruck. Julia sagte sonst nie Dinge wie »sei ganz unbesorgt«.
»Ich bin heute Morgen so überstürzt aufgebrochen«, fuhr Kate fort, »dass ich nicht nur mein Handy, sondern auch meine Hausschlüssel liegen gelassen habe. Das Einzige, was ich dabeihabe, sind die Wagenschlüssel. Könnte ich vielleicht mal dein Telefon benutzen, ich muss Dexter anrufen.«
»Natürlich.«
Julia ging ins Gästezimmer, nahm das Telefon aus der Ladestation auf dem Schreibtisch und reichte es Kate.
»Danke. Bitte entschuldige, dass ich dich um diese Uhrzeit belästige. Und Bill. Ist er hier?«
»Nein. Er ist vor ein paar Minuten gegangen.«
Wie Kate genau wusste. »Noch mal danke.«
Kate wählte die Nummer von Dexters Büro. Anfangs hatte sie überlegt, den Anruf nur vorzutäuschen – irgendeine Phantasienummer zu wählen oder auf ihrem eigenen Handy anzurufen und so zu tun, als spreche sie mit jemandem. Doch wenn sie im Hinblick auf
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