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Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Titel: Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Pavone
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war ihr Dexter nicht, das war nicht sein Stil. Sie kannte ihn. Aber natürlich kannte sie nicht sämtliche Seiten von ihm.
    Kate betrachtete die anderen Männer, diese Banker mit ihren Platinuhren, den Krokolederschuhen und Hemden aus Seiden-Baumwoll-Gemisch. Sie ließen sich über Carving-Skier und Chalets in den Schweizer Alpen aus, über ihre Villen in Spanien, ihre Erste-Klasse-Flüge nach Singapur und die neuesten Audi-Modelle. Über Geld: wie man es verdiente und wie man es ausgab.
    Dexter hatte Kate zu Weihnachten eine goldene Armbanduhr mit Lederband geschenkt, schlicht und elegant. Der Preis stand neben dem Schmuckstück im Schaufenster des Juweliers in der Innenstadt, wo jeder ihn sehen konnte: 2100 Euro. Sämtliche Ehemänner strömten zweimal im Jahr in die Einkaufsstraßen der Innenstadt, zu Weihnachten und zum Geburtstag ihrer Frau. Sie sahen in dieselben Schaufenster derselben Läden in denselben Straßen und sahen genau dieselben Preise wie ihre Frauen. Jeder, den es interessierte, wusste, wie viel welche Tasche kostete – die mittlere 990 Euro, die mit den etwas größeren Seitenfächern schlug mit 1390 Euro zu Buche.
    All diese Mütter, all diese Exanwältinnen, Exlehrerinnen, Expsychiaterinnen und Ex-PR-Beraterinnen gingen einkaufen und zum Lunch. Sie alle trugen Preisschilder am Arm, gaben sich als Projektionsfläche für das Einkommen des Ehemanns her, ließen sich bei Laune halten.
    War Dexter zu einem dieser Männer geworden? Hinter ihrem Rücken? Falls es so war, verbarg er diese Verwandlung geschickt. Und Kate ließ es zu, da es ihr nach wie vor nicht klug erschien, ihn zur Rede zu stellen, solange sie nicht mit Sicherheit wusste, welcher Verbrechen ihn das FBI verdächtigte. Sie musste diejenige sein, die die Wahrheit ans Licht brachte. Und ihre Chancen, dass es ihr gelingen würde, standen ebenso gut wie die der anderen. Oder sogar noch besser: Sie hatte Zugang zu seinem Computer, zu allem, was ihm gehörte, zu seinem Terminkalender. Seiner Geschichte. Zu ihm selbst.
    »Hallo, Kate«, sagte Julia.
    Kate konnte Julias Gesichtsausdruck nicht deuten, konnte nur Spekulationen darüber anstellen, auf welche Wahrheit, welches Ausmaß der Täuschung sie sich stumm geeinigt hatten.
    Wusste Julia, dass Kate für die CIA gearbeitet hatte?
    Kate schluckte ihren Stolz, ihren Ekel hinunter, ihre Feindseligkeit und das Bedürfnis, sich und ihre Familie zu schützen. »Hi, Julia.«
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    Konnte man einsamer sein? Umgeben von Menschen, gefangen in der Lüge, unfähig, mit jemandem ein echtes, aufrichtiges Gespräch zu führen – weder mit Bekannten noch mit Freunden, nicht einmal mit dem eigenen Partner, dem Menschen, mit dem sie ihr Leben teilte. Er hatte den Kopf in den Nacken geworfen und lachte schallend, seine Brille saß leicht schief auf seiner Nase. Sie liebte ihn so sehr. Selbst in den Momenten, in denen sie ihn hasste.
    Kate betrachtete ihren Ehemann, dachte daran, was sie bereits über ihn herausgefunden hatte und womöglich noch herausfinden würde, an die gewaltige Mauer der Unaufrichtigkeit, die sich zwischen ihnen auftürmte und die mit jedem Tag noch ein Stück größer zu werden schien, mit jedem Gespräch, das sie nicht führten, mit jedem Geständnis, das sie sich nicht zu machen traute.
    Leise ging Kate die Treppe hinauf, am Elternschlafzimmer vorbei und betrat das Badezimmer der Kinder. Plastikspielzeug in leuchtend bunten Farben auf dem Wannenrand, Shampooflaschen mit Cartoonfiguren, die sie noch nie gesehen hatte, ein paar Tuben Zahnpasta in unterschiedlichen Stadien der verkrusteten Unappetitlichkeit.
    Kate setzte sich. An der gegenüberliegenden Wand des gefliesten Raums hing ein Ganzkörperspiegel, der dazu einlud, sich nackt darin zu betrachten. Kate starrte auf ihr Spiegelbild, ließ den Blick über ihren schwarzen Rock wandern, die schwarzen Nylonstrümpfe, den schwarzen Pulli, die opulente Kette, die Ohrringe, die nagelneue, teure Armbanduhr. Überflüssiger Schnickschnack.
    Es war so offensichtlich: Natürlich hatte sie sich zu einem Mann mit einem geheimen Leben hingezogen gefühlt, zu jemandem, unter dessen scheinbar braver Oberfläche etwas brodelte, etwas Unanständiges, etwas Geheimnisvolles.
    Sie hatte sich gezwungen zu glauben, sie hätte die Welt, in der Heimlichtuerei und Betrug regierten, hinter sich gelassen, als sie sich für Dexter entschieden hatte. Aber diese Selbsttäuschung war in ihrer Welt, in der es an der Tagesordnung war, andere zu täuschen, der

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