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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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bigophone . Du kennst bigophone nicht?«
    Sie konnte ihn am anderen Ende der Leitung lachen hören. »Das hast du dir bloß ausgedacht«, warf sie ihm vor. »Das ist blanker Unsinn.«
    » Bigo ist kein Unsinn, das Wort gibt es. Sagt die Crème de la Crème von Genf etwa nicht bigo? Hierzulande sagt man wohl ›Ich klingle mal durch‹. Also, erzähl schon, was machst du zu Hause? Hat die Organisation dich rausgeschmissen?«
    »Noch nicht.« Und auf einmal wurde ihr klar, dass dieser junge Mann der einzige Mensch war, mit dem sie offen über ihre Ausbildung sprechen konnte, dass dieses Telefonat, mit leiser Stimme, damit ihre Eltern auch nichts aufschnappten, eine Art Rettungsanker war, fast wie ein Beichtstuhl. »Ich fange am Montag an der Fallschirmspringerschule an. Kannst du dir das vorstellen? Aus einem Flugzeug springen.«
    »Ich sollte schon vor einer Woche dort anfangen. Und dann gab es eine Planänderung. Es gibt immer eine Planänderung. Sie arbeiten wahrscheinlich schon an einer Planänderung, mit der sie sich aus dem Krieg rausmogeln können.« Er wechselte ins Englische und sagte mit übertriebenem Akzent: »’allo Jüngs, es gibt leidär ein Planänderung. Wir niischt mehr kämpfen gegen ’itler, wir jetzt kämpfen gegen Stalin.«
    Sie lachte. »Und was machst du stattdessen?«
    »Ich bin wieder in so einem bescheuerten Lehrgang. Wie man tote Ratten mit Sprengladungen füllt oder so. Ich will doch nur endlich zurück nach Frankreich, aber die schicken mich von einem Lehrgang zum nächsten.«
    »Vielleicht …«, sagte sie.
    »Vielleicht was?«
    »Vielleicht können wir uns mal treffen?«
    »Aber dazu ist keine Zeit. Vielleicht in London.«
    »Vielleicht.«
    Und dann war der Anruf zu Ende, und der Hörer lag stumm in ihrer Hand, und sie fühlte sich einsam und verlassen.
    In derselben Nacht hatte sie einen Traum. Es war einer, den sie schon in der Kindheit gehabt hatte, ein Traum, in dem sie fiel, mal schnell, mal langsam, wie Alice im Wunderland das Kaninchenloch hinab. Während sie fiel, wurde sie von Leuten beobachtet. Sie kannte sie alle, aber sie er kannte sie nicht, das war das Seltsame. Bis auf ihre Eltern. Sie waren unter den Zuschauern. Und der Franzose, Benoît. Er lachte über sie.
    Am Sonntag ging sie mit ihrer Mutter zur Messe in St Aloysius auf der Woodstock Road. Die Kirche war voll, als hätten die Katholiken sich in den Kriegsjahren vermehrt.
    Dass dich des Tages die Sonne nicht steche , sang der Chor, noch der Mond des Nachts .
    Maman betete lang und inbrünstig nach dem Segen, und als sie schließlich aufstand, hatte sie Tränen in den Augen. »Ich habe gebetet, dass dir nichts zustößt«, sagte sie, als sie die Kirche verließen. »Wo immer du auch hingehst.«
    II
    Die Fallschirmspringerausbildung war eine rasende Achterbahn der Gefühle. Sie lernten, von einer drei Meter hohen Mauer zu springen, sie sausten Rutschen hinunter und schwangen in Gurten von einem Gerüst in einem Hangar, sie landeten unsanft auf Matratzen und Kokosmatten, sie stiegen in einem per Leine gesicherten Fesselballon auf und sprangen aus hundertfünfzig Metern ab. Der Rausch dabei war vergleichbar mit dem beim Skilaufen – derselbe Kitzel, wenn du dich der Schwerkraft hingabst, dieselbe erschreckende Atemlosigkeit, die für einen Moment erahnen ließ, wie es war zu sterben. Am Ende der Woche gurteten sie sich Fallschirme um, kletterten in einen betagten Whitley-Bomber und flogen über Tatton Park, wo sie sich im Rumpf in einer Reihe hintereinander aufstellten, um hinaus in die Leere zu springen. »Los! Los! Los!«, rief der Absetzer, der sie antrieb wie ein Trainer Athleten antreibt, damit sie schneller laufen, höher springen, weiter werfen. Und sie stürzte hinaus in die Luft, und der Wind schlug ihr ins Gesicht und raubte ihr den Atem, und der Traum vom Fallen wurde Wirklichkeit, Menschen unten auf der Erde blickten hoch zu ihr, und eine körperlose Stimme rief ihr zu, sie solle die Füße zusammenhalten und die Knie beugen, ehe der Boden plötzlich auf sie zukam und sie holterdiepolter übers Gras purzeln ließ.
    Nach drei Sprüngen wurde das Springerabzeichen verliehen, aber Frauen durften es nicht an der Uniformjacke tragen, damit keine Fragen gestellt wurden. »Wieso zum Teufel meinen die immer, dass nur bei Frauen Fragen gestellt werden?«, murrte Marian, aber niemand schenkte ihr Gehör. Gleich nach der Verleihung brachte ein Lastwagen alle von ihrem Lehrgang zum Bahnhof in Ringway, wo sie in den Zug

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