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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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Art. Ich bin Republikaner! Komm, lass uns von hier verschwinden. Einen Spaziergang machen. Wir müssen ja nicht hier herumsitzen, nur damit die uns im Auge behalten können.«
    Sie büxten aus wie Kinder, die die Schule schwänzen, amüsiert darüber, plötzlich so zusammengeworfen worden zu sein. Irgendwo oben am Himmel nahm der Mond zu, aber das war nicht zu sehen; zu sehen waren nur Wolken und Blau und die Sonne, mal hell, mal verdunkelt, und Sperrballons, die wie riesige luftige Maden dahinschwebten. Der Mond schien sehr weit weg. Plaudernd schlenderten sie zum Marble Arch und in den Hyde Park. Sie redeten ungezwungen miteinander, obwohl sie sich kaum kannten und ganz unterschiedliche Vorgeschichten hatten. Benoît war ein colon aus Algerien, mit einem Schuss heißem südländischem Blut in den Adern und einem Gefühl von Entfremdung. »Sie nennen uns »Schwarzfüße«, weißt du das? Was soll das heißen? Dass wir halbe Araber sind? Dass wir nicht so gut sind wie der Rest von ihnen? Vielleicht soll das heißen, dass wir in Scheiße getreten sind.«
    Er war bei der Generalmobilmachung 1939 eingezogen worden, und nach dem Fall von Paris hatte sich seine ganze Einheit ergeben. In der Nacht, als sie in ein Kriegsgefangenenlager in Deutschland transportiert werden sollten, war er zusammen mit einem Freund aus dem Zug gesprungen. Er tat es mit einem Achselzucken als nichts Besonderes ab. »Du packst einfach die Gelegenheit beim Schopfe. Du kannst nicht zu lange drüber nachdenken, sonst ist die Gelegenheit vertan. Du musst einfach handeln, und wenn es klappt …« – wieder ein Achselzucken –, »… Schwein gehabt!« Er zuckte viel die Achseln oder grinste, als wäre das, was er getan hatte, bloß ein Dummejungenstreich. Mit seinem Freund hatte er es über die Demarkationslinie in die nicht besetzte Zone geschafft, wo sie sich eine Weile als Landarbeiter durchgeschlagen hatten, ehe sie weiter nach Süden zogen. Schließlich waren sie über die Pyrenäen nach Spanien gelangt, wo man sie ins Gefängnis steckte.
    »Wir haben so einen Aufstand gemacht, dass sie uns nach einer Woche wieder laufen ließen. Pamplona hieß die Stadt. Halt dich bloß von Pamplona fern. Scheißstadt. Von da bin ich zurück nach Algerien und hab mich der Résistance angeschlossen. Dann hat mich so ein Bursche angesprochen und gesagt, ich könnte zurück nach Frankreich, ich müsste ihm dafür bloß meine Seele verkaufen …«
    Marians eigene Geschichte, die sie zu der Zeit als so dramatisch empfunden hatte, kam ihr gemessen an Benoîts auf einmal banal vor. Als sie ihm, fast entschuldigend, von Genf vor dem Krieg erzählte – dem großen Haus, den Bediensteten, den Privilegien, die der Familie eines internationalen Diplomaten zukamen –, zuckte er wieder bloß die Achseln. »Du kannst nichts dafür. Ich kann nichts dafür, dass ich ein pied-noir bin. Du kannst nichts dafür, dass dein Vater ein hohes Tier ist. Immerhin bist du keine verwöhnte Göre geworden. Immerhin bist du nicht zimperlich.«
    Er grinste sie an. »Komm, wir gehen einen Tee trinken. Das ist für Engländer doch der höchste Genuss, nicht wahr? Eine schöne Tasse Tee.« Er sagte das auf Englisch und bemühte sich, seinen französischen Akzent mit unbeholfenem Cockney zu kaschieren, was ihm nur mäßig gelang. Sie musste lachen.
    Beim Tee sprachen sie darüber, wie sie diese öden, angespannten Tage des Wartens verbringen könnten. Benoît war von der Organisation in einem Hotel untergebracht worden. Sie wollten nicht, dass er mit anderen Angehörigen der Freien Französischen Streitkräfte zusammenwohnte. »Sie wachen eifersüchtig über mich, weil ich eigentlich für die Gaullisten arbeiten sollte und sie mich für sich behalten wollen.«
    Sie betrachtete ihn nachdenklich, den Kopf zur Seite geneigt. »Wie wär’s, wenn du mich in Oxford besuchst? Ich fahre heute Abend zurück. Komm doch übers Wochenende.«
    Es war eine spontane Idee. Sie könnte doch diesen Franzosen Maman vorstellen. Die wäre bestimmt hin und weg von ihm. So etwas hatte Marian noch nie gemacht, aber sie war auch nicht mehr der Mensch, der sie immer gewesen war. Sie würde nicht mal fragen. Sie würde einfach zu ihrer Mutter sagen: »Übrigens, Maman , ich hab so einen französischen Burschen übers Wochenende eingeladen.« C’mec français , würde sie sagen. Ihre Mutter konnte diesen Jargon nicht ausstehen. »Er weiß in London nicht so richtig was mit sich anzufangen, und da hab ich gedacht, es

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