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Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Titel: Die Frau, die zu viel fühlte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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und alle gaben sich große Mühe, nicht zu prahlen oder zu blasiert zu klingen. Ich wollte schon wieder gehen, als mein Blick auf eine Frau fiel, die nicht zum Rest der Gesellschaft zu gehören schien – die üblichen politischen Trittbrettfahrer und medialen Dampfplauderer, mit denen ich den besten Teil meines Lebens verbracht hatte. Sie kam mir irgendwie bekannt vor, und sie stand allein da, schaute zum Fenster hinaus und war offensichtlich so gelangweilt wie ich inzwischen auch.
    Ich trat neben sie, und nach einer Weile stellte ich mich vor. »Wird langsam etwas laut, nicht? All die saftigen Skandale. Hier der Ideenklau, da das Schulterklopfen. Kann ein bisschen viel werden. Was zu trinken?«
    Sie drehte sich um und schaute mich einen Augenblick lang an, als würde sie sich fragen, warum um alles in der Welt ich sie nicht in Frieden lassen könne. Mittleres Alter, dachte ich, kaum Make-up, graue Strickjacke, schlichter grüner Rock, kein erkennbarer Versuch, irgendeinen Eindruck machen zu wollen. Ja, kritischer Blick und alles andere als in ihrem Element. Plötzlich verließ die Ungeduld ihren Blick, und sie lächelte mich entschuldigend an, als wollte sie sagen, sie sei aus Versehen hier oder weil sie es über sich ergehen lassen müsse.
    »Ich weiß, wer Sie sind«, sagte sie. »Wer nicht? Und nicht noch einen Drink, vielen Dank.«
    »Nicht gerade Ihre Szene?«
    »War es früher mal. Bin erst vor kurzem wieder reingekommen. Abgeordnetensekretärin.« In ihrer Stimme klang ein leichter Überdruss mit. Und tatsächlich schaute sie auf ihre Uhr. »Sie kommen zu einem, wollen irgendeinen Klatsch, wer gerade in und wer out ist, was der und der über den und den denkt, und wenn man nichts sagt, verlieren sie ratzfatz das Interesse. Um ehrlich zu sein, ich dachte mir, Sie wollen dasselbe.«
    »Na ja, bei dieser Party nicht. Nein, ich dachte, ich hätte Sie wiedererkannt. Denke es immer noch, kann Sie aber nicht …«
    »Ich habe mir früher mit Ihrer Schwester eine Wohnung geteilt.«
    Sie schaute zum Fenster hinaus wie zu einem weit entfernten Horizont. Sie fragte nicht, wie es Julie ging, was aus ihr geworden war, und das bedeutete womöglich, dass sie es bereits wusste. Ich konnte nur darauf warten, dass sie weiterredete. Schließlich erzählte sie, sie habe das Parlament vor vielen Jahren verlassen, um zu heiraten, und sei erst kürzlich wieder zurückgekommen.
    »Ich dachte damals, hier gibt’s nichts Aufregendes mehr zu erleben«, sagte sie. »Bis der Spesenskandal wieder ein bisschen Feuer reingebracht hat. Der Meine ist mehr oder weniger sauber, bis auf eine Katzenklappe im Zweitwohnsitz.«
    »Also keine kostenlosen Vergnügungsreisen auf exotische Inseln, die ihm irgendwann das Genick brechen werden?«
    »Könnte sein. Ist alles so schäbig. Wie nennen Sie das? Degeneriert.«
    Sie hob die Augenbrauen, und ich hielt mir die Nase zu – ein Wettstreit des Abscheus. Aber eigentlich wollte ich nur, dass sie etwas über Julie sagte. Trotz ihres gelangweilten Sarkasmus hatte sie etwas Aufrichtiges. Vermutlich hatte sie mich nur deswegen nicht nach Julie gefragt, weil sie annahm, ich würde nicht wissen, wie ich antworten sollte. Allmählich brachen die Leute auf, und ich sah einen Kommentator-Rivalen die Hand heben und auf mich zukommen.
    Ich platzte einfach damit heraus. »Ich würde sehr gern über Julie reden. Jetzt erinnere ich mich wieder. Sie öffneten mir die Tür, als ich sie besuchen wollte. Sie hatte Grippe oder so was. Können wir uns irgendwann auf einen Drink treffen?«
    Schon stand mein Kollege neben mir und schlug mir auf den Rücken. Die Frau gab mir ihre Karte und ignorierte ihn völlig. Ich bezweifle, ob er es überhaupt bemerkte, so besoffen war er von irgendeinem Gerücht, das er mir unbedingt erzählen wollte, Klatsch über irgendeinen Staatssekretär, der angeblich in Kürze seinen Rücktritt verkünden würde.
    Die Frau schob sich an mir vorbei. »Rufen Sie mich an«, sagte sie.
    Wir verabredeten uns in der Bar eines Hotels in der Nähe des Trafalgar Square. Anfangs war sie nervös, saß sehr aufrecht mit den Handflächen auf den Knien da, als würde sie ein schwieriges Gespräch erwarten. Aus reiner Höflichkeit fragte ich sie zuerst nach ihrer Arbeit und nach der Stimmung in der Partei, und sie wurde noch nervöser, runzelte die Stirn und schaute seitlich an mir vorbei. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Den Tomatensaft, den ich ihr bestellt hatte, hatte sie noch nicht angerührt.

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