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Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Titel: Die Frau, die zu viel fühlte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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war nur halb bei Bewusstsein, und bald darauf ging ich wieder und ließ ihr 200 £ in einem Umschlag da, denn der einzige Satz, den sie herausgebracht hatte, war, dass sie »ein wenig knapp bei Kasse« sei. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich mit Sheila unterhalten hatte oder nicht.
    »Sie hatte Glück, Sie zu haben«, sagte ich und fügte nicht direkt hinzu, dass sie sonst niemanden hatte. Ich fragte mich, wenn Sheila schon nichts tun konnte, was hätte dann ich ausrichten können? Sie schaute mich mit so scharfer Neugier an, dass ich sie auch das nicht fragen konnte.
    »Tja, wir fragen uns immer, nicht, oder sollten es zumindest, ob wir mehr hätten tun können?«
    Wieder wartete sie auf meine Reaktion, aber ich konnte nur noch mal nicken. Jetzt blieb lediglich eine Frage, die wichtig war.
    Ich stellte sie unverblümt: »Hatten Sie noch irgendeinen Kontakt mit ihr?« Sie wartete, dass ich fortfuhr, als wäre das eine törichte Frage, die man nun wirklich nicht zu stellen brauchte. Also fügte ich hastig hinzu: »Meine Schwester und ich haben kein Wort mehr von ihr gehört. Kein einziges Wort.« Sie antwortete noch immer nicht und schaute jetzt wieder seitlich an mir vorbei. »Ich will offen zu Ihnen sein. Es geht nicht nur darum. Es geht darum, warum sie uns all die Jahre so im Dunkeln lassen konnte. Wir wissen nicht einmal, ob sie noch lebt. Wir hatten gar keine andere Wahl, als zu versuchen, sie aus unseren Gedanken zu verbannen, als wäre sie tot, meine ich. Das klingt ziemlich schrecklich, nicht?«
    Sie überlegte lange, ihr Tomatensaft und die Schüssel mit Erdnüssen standen noch unberührt auf dem Tisch.
    »Sie hat so viel von Ihnen erzählt. Von ihrer Kindheit. Da lag so viel Liebe darin, wie es sie auch unter Geschwistern nur selten gibt.«
    »Und unsere Eltern, hat sie je über die gesprochen?«
    »Na ja, das war so eine Sache. Sie erzählte von einem besonders tränenreichen Abend, als Ihr Vater von zu Hause wegging und dann bei einem Autounfall ums Leben kam. Dass Ihre Mutter sehr lange krank war und jetzt ebenfalls tot ist. Sie vergötterte beide. Sie hatte diese Erinnerung an ein perfektes Familienleben, Ausflüge ans Meer, Picknick und Spiele, Steine ins Meer werfen. Sie schien immer ein Bild vom Glück am Meer im Hinterkopf zu haben. Manchmal sagte sie, eines Tages würde sie wieder am Meer leben. Dort sei sie am glücklichsten gewesen. Dass Sie und Ihre Schwester mit Ihren Familien kommen und ganz in der Nähe leben würden. Je schlimmer es um sie stand, umso häufiger kam sie darauf zurück. Dann flossen wieder Tränen, aber keine der Reue. Es hatte einen anderen Grund. Die verlorene Zeit.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie schien jetzt selber den Tränen nahe, doch dann fügte sie hinzu: »Arme Julie. Ich habe sie sehr gemocht. Ich möchte, dass Sie das wissen. Ich hielt sie oft in den Armen, bis sie aufhörte zu weinen.«
    Sie schien das Gespräch abschließen zu wollen. »Haben Sie noch einen Augenblick Geduld mit mir«, sagte ich und versuchte, ihren Blick zu halten, der jetzt, da immer mehr Leute in die Bar strömten, herumwanderte. »Was glauben Sie, warum ließ sie den Kontakt abreißen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher. Natürlich kann ich nicht … Was soll ich sagen? Sie hat Sie beide sehr bewundert. Ihre Schwester, Hester, nicht, war brillant und wusste alles über Bücher und Bibliotheken. Und was Sie anging, na ja …«
    »Ich glaube, ich kann es mir vorstellen …«
    »Nur … wenn die Lage wirklich schlimm war, sagte sie manchmal, dass Sie sie wohl besser los wären. Solche Sachen.«
    Ich schloss die Augen. Das zu hören war furchtbar.
    »Tut mir leid«, sagte sie, »aber das könnte einer Antwort auf Ihre Frage nahekommen.«
    »Reden Sie weiter.«
    »Ich habe tatsächlich von ihr gehört. Ein paar kurze Briefe aus Toronto. Eigentlich klang sie ziemlich glücklich, zumindest hat sie so getan. Sie wollte ja nie jemandem, der ihr nahestand, zur Last fallen. Sie schrieb, sie arbeite in der Schnäppchenabteilung eines großen Kaufhauses und verkaufe Gartengeräte. Falls ich je etwas über kanadische Gartenschläuche wissen wolle … Jede Menge Ausrufungszeichen. Das war die zweite Karte. Auf der ersten schrieb sie nur, sie wolle mir sagen, wie dankbar sie sei, ich sei so ziemlich das Beste, was ihr in ihrem Leben je passiert sei.«
    »Und danach?«
    »Nichts. Ich antwortete ihr, schrieb ihr, dass ich sie vermisse und dass sie sich wieder melden soll. Es

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