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Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Titel: Die Frau, die zu viel fühlte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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glücklichsten Abende, und soweit ich mich erinnere, endete er mit einem Klaviertrio von Schubert. Ja, das b-Moll. Das Passive, Feminine, wie Schumann es genannt hatte. Es war das letzte Mal …«
    Sie hielt inne, als würde sie die Musik im Kopf noch einmal hören. Eine Weile klopfte sie den Rhythmus mit. Dann redete sie weiter. Ich saß mit geschlossenen Augen da, legte hin und wieder ein Scheit ins Feuer und schürte es, ohne sie auch nur einmal anzuschauen. Erst als wir uns verabschiedeten, sollten wir wieder Blicke wechseln. Das ist das richtige Wort – ein Wechsel, ohne Worte, ein Austausch von Verständnis und Vertrauen.
    Sie erzählte mir, dass eine Woche später drei Polizisten gekommen waren und zwei weitere kleine Päckchen aus Julies Zimmer mitgenommen hatten. Wenige Tage später wurde sie zusammen mit Paulo verhaftet, nach Calgary gebracht, wegen Drogenhandels angeklagt und zu Gefängnis verurteilt, er zu sechs Monaten, sie zu vier. Paulo hatte in der Schulküche gearbeitet und in Calgary etwas Cannabis und auch ein wenig Kokain gekauft und versucht, es weiterzuverkaufen. Er hatte auch Julie gebeten, etwas zu verkaufen. Es waren nur kleine Mengen gewesen. Sie war vor Gericht als Charakterzeugin für Julie aufgetreten.
    »Das war das letzte Mal, dass ich sie sah. Sie saß mit gesenktem Kopf da oder schaute Paulo an. Ich sehnte mich danach, dass sie mich anschaute, nur einmal. Ich wollte sie wissen lassen, nun ja, dass ich sie liebte, dass ich ihr immer ein Zuhause bieten würde, dass unsere gemeinsamen Zeiten zu den glücklichsten meines Lebens gehört hatten. Solche Dinge. Wie sagt man so etwas mit einem Blick? Ich gab ihrem Anwalt einen Brief für sie, aber er sagte mir, sie wolle ihn nicht annehmen. Ich sah sie nie wieder.«
    »Und Paulo?«
    »Er schaute sie kaum an. Er grinste nur die ganze Zeit. Manchmal zuckte er die Achseln. Als wären sowohl das Gericht wie auch Julie für ihn gleich absurd.«
    Wieder entstand ein langes Schweigen. Ich brachte neuen Kaffee und ging dann noch einmal in die Küche zurück, um einen Teller mit Keksen zu holen, der auf dem Abtropfblech stand. Ich stellte ihn neben sie, doch sie ignorierte ihn. Ich überlegte, ob das alles war, was sie zu sagen hatte, und ich ins Hotel zurückkehren sollte. Es konnte nur noch Schlimmeres kommen. Ich würde das alles Hester erzählen müssen. Jetzt war es wichtiger denn je, dass wir sie fanden, aber es war sogar noch unwahrscheinlicher geworden. Mit Sicherheit hatte sie von diesem Punkt an spurlos verschwinden wollen. Mrs. Hayes sprach meine Gedanken aus, mit leiser Stimme, als redete sie mit sich selbst. Ich musste mich vorbeugen, um sie zu verstehen.
    »Trotz allem, immer wenn sie bei mir war, gab sie mir die Hoffnung, dass sie bald nach Hause zurückkehren werde, zu den Menschen, die sie liebte. Ich sah sie an einem Strand entlanglaufen, in den Wind lachen, mit Menschen, die ihr folgten. Und ähnliche sentimentale Vorstellungen. Und ich sagte ihr oft, sehr oft, dass sie nach Hause gehen müsse. Sie versprach es mir, fragte mich aber auch, warum sie es tun sollte, da sie doch glücklich war? Jetzt hingegen konnte sie das nicht mehr tun, oder? Mit der ganzen Schande. Jetzt würde sie wirklich vom Angesicht der Erde verschwinden wollen.«
    Ich nickte, obwohl sie es nicht sehen konnte. Sie bedeckte die Augen, als versuche sie, auf etwas zu kommen. Was konnte ich sagen? Dass das die Wurzel des Ganzen war? Das und eine Sehnsucht nach einer Zeit der Unschuld, die nie wirklich existierte. Aus meinem Mund kam allerdings: »Das Ende der Reise. Arme Julie. Aber vielen Dank …«
    »Ja. Und kein neuer Anfang. Ein verlassener Kai. Ein leeres Meer.«
    Dann erzählte sie mir, dass sie etwa vier Monate später Besuch von einer Mrs. French erhalten habe, die Gefangene in der Haft besuchte und auf diese Weise Julie gut kennengelernt hatte. Da Julie offensichtlich keine Ahnung hatte, wohin sie nach Verbüßung ihrer Strafe gehen sollte, hatte Mrs. French ihr eine Unterkunft angeboten. Sie hatte eine Art Zusammenbruch gehabt und kaum gesprochen. Ihre Medikamente machten sie schläfrig. Sie half bei der Hausarbeit und bei der Betreuung von Mrs. Frenchs zwei kleinen Kindern, die meiste Zeit aber verbrachte sie in ihrem Zimmer.
    Jetzt schaute sie mich an. Vielleicht hatte sie es zuvor schon getan, aber ich hatte die Augen geschlossen gehabt. Es schien auch nur Neugier zu sein.
    Dann sagte sie: »Wir wissen, nicht wahr, wie untypisch das für Julie war.

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