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Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Titel: Die Frau, die zu viel fühlte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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Mrs. Hayes’ Schule gehen sollen, sagte sie, um alles von Anfang an noch einmal zu lernen. Als sie mir am Ende dann den Brief gab, redete sie kaum noch.«
    »Ja«, sagte ich. »Die Welt war zu sehr …«
    Ich konnte nicht weiterreden. Ich sah Julie auf einer belebten Straße auf mich zulaufen, mit allem, was sie mir zu sagen hatte, oder nichts – in den Augen und der Hast ihres Redens eine Sehnsucht, ihre Gefühle in Ordnung zu bringen, aus ihnen zu machen, was sie meinte, dass ich hören wollte. Es ging um viel, viel mehr, als sich Geld zu borgen, ein bisschen was, um über die Runden zu kommen.
    »Ja«, sagte sie. »Andere Welten. Diejenigen, die nicht so sehr bei uns sind. Sie werden es selber sehen, Mr. Bridgewell.«
    Die Förmlichkeit war wieder da. Sie wollte mir nichts mehr sagen.
    »Ich richte ihr schöne Grüße von Ihnen aus«, sagte ich.
    »Besser meine Liebe, aber ich fürchte … Ach, vergessen Sie’s.« Wieder war Herzlichkeit aufgeblitzt. »Ich bin so froh, dass Sie sich endlich auf die Suche nach ihr gemacht haben.«
    Das war zwar eine Rüge, aber ihr Ton blieb freundlich. Und noch einmal dankte ich ihr.
    »War doch keine große Sache«, erwiderte sie wegwerfend.
    Ich besuchte Mrs. Hayes noch ein letztes Mal. Ich hatte mir ein Auto gemietet, um einige der Seen zu besuchen, und davon erzählte ich ihr. Ich erzählte ihr auch von einem Trio-Konzert, das ich im Centre gehört hatte. All diese Orte hatten Erinnerungen für sie, alle auch Erinnerungen an ihren Mann. Sie nickte, als ich erzählte. Es war fast wie eine Anerkennung: Inzwischen hatte ich eine ungefähre Ahnung davon, wie es für sie all diese Jahre gewesen war, die sie jetzt mit mir teilte, wie sie es mit Julie getan hatte. Ich sagte ihr, dass ich Mrs. Frenchs Bruder sehr bald besuchen würde und dass meine Reise nun zum Ende komme. Mit einem Achselzucken erzählte sie, dass Mrs. French sich schon sehr lange nicht mehr bei ihr gemeldet habe. Es schien sie zu ärgern.
    »Haben Sie nachgefragt?«
    Sie schüttelte den Kopf und rutschte, ein wenig das Gesicht verziehend, in ihrem Sessel nach hinten. Mein Besuch war zu Ende. Bald würde ich ein Teil der Vergangenheit sein. Das Buch konnte wieder geschlossen werden, Julie kam ins Regal der Erinnerungen, als eine unter vielen. Denn es gab eine Unmenge anderer, nicht nur an Seen und Berge, die sie mit ihrem Mann gesehen und bestiegen hatte, sondern auch an alle ihre Schüler, eine große Sammlung von Elchkopf-Klopfern, an eine Kindheit in Shropshire, die Wildnis von Saskatchewan. Ich wusste nicht einmal, ob sie eigene Kinder hatte. Julie würde wieder in den Hintergrund treten. Eine Gleichgültigkeit hatte sich eingeschlichen. Sie hatte mir nicht einmal Kaffee angeboten. Ich stand auf und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie legte ihre Hand auf meine.
    »Ich werde sie herzlich von Ihnen grüßen«, sagte ich.
    Sie schüttelte abwehrend den Kopf, schaute dann mich an und die Bücher an den Wänden. Es würde einfach eine endgültige Trennung unter vielen sein. So war das Leben, es trieb auf ein Ende zu.
    Ich stand noch da, als die Nachbarn hereinkamen. Die Gattin, eine geschäftig wirkende Frau mit einem Dauerlächeln im Gesicht, hatte wieder einen Eintopf in den Händen.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte der Mann, während sie zur Küche durchgingen. Dann kam die Frau zurück und fing an, Staub zu wischen.
    »Ich sauge dann später«, sagte sie, als würde sie sich schon sehr darauf freuen. »Und ein bisschen abwaschen. Der Berg Wäsche wird dann eben warten müssen, nicht?«
    »Schätze, ja«, sagte der Mann.
    Sie unterhielten sich, als wären sie alleine, würden bei sich zu Hause ein wenig plaudern. Sie gingen wieder in die Küche. Es war ihre Zeit. Der ganz normale Alltag. Mrs. Hayes lächelte mich an und zuckte noch einmal die Achseln, als wollte sie sagen, so lief das Leben eben, der alltägliche Trott, nichts von Bedeutung für jemanden wie mich, der in der öffentlichen Sphäre lebte. Es war nur noch leichtes Gepäck zu schleppen, bis das Ende kam. In ihrem Blick hatte Dankbarkeit gelegen, das glaube ich zumindest. Weil ich ihr einen Teil ihrer Vergangenheit wiedergegeben hatte, einen erinnernswerten Teil. Aber das war es dann auch. Sie hatte noch immer nicht gesagt: Ja, und bitte grüßen Sie sie sehr herzlich von mir.
    Ich hatte noch einige Stunden Luft, bis der Bus zum Flughafen fuhr, deshalb habe ich diesen Bericht vervollständigt, so gut ich konnte. Die ganze Zeit dachte

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