Die Frau, für die ich den Computer erfand
mal Beschleunigung … Nein, ich hatte nie die Sehnsucht, einzusteigen und kurz mal mitzufahren nach Basel oder Hamburg-Altona. Ich bin ja genug durchs Land gezockelt als mein eigener Vertreter. Mir hatten es die Güterzüge angetan, von Jahr zu Jahr sind immer mehr Güterzüge vorbeigerollt, zwanzig Meter an unsern Apfelbäumen und Himbeerhecken vorbei. Da hab ich gern aufgeblickt, Kohle, Benzin, Stahlrohre, immer mehr Waren und Rohstoffe runter nach Süden, rauf nach Norden. An den Güterzügen hat man gesehen, wie die Wirtschaft zum Wirtschaftswunder wurde, Zug um Zug, wenn ich das mal so blöd sagen darf. Es wurde auf die Dauer lästig mit dem Lärm, aber der von der Straße warschlimmer … Am schönsten fand ich die V W-Züge , nie sehr schnell, dafür umso länger, die langen Züge mit den fabrikneuen, in allen Farben glänzenden und glitzernden Volkswagen-Käfern auf zwei Etagen in den offenen Waggons, die in den Süden rollten. Beinah jeden Tag einer, so kommt es mir vor, ich weiß nicht mehr, wie oft. Immer rollten neue Autos vorbei für München oder Frankfurt oder die Schweiz oder was weiß ich. Und am schönsten war es, wenn man an Sonntagen beim Wandern auf den Höhen diese Züge in den Blick bekam und rollen sah, unten im Tal im weiten Bogen der Schienen um Odensachsen herum und an den Haunewiesen entlang und dann nah am Kirchturm und an den Fachwerkhäusern vorbei, und die Schienen wirkten wie Straßen, wie Autobahnen mit ferngesteuerten, dicht an dicht fahrenden Autos des gleichen Typs, das war fast wie ein Bild im Traum. Da hätte man an automatisierten Straßenverkehr denken können. Aber ich hab viel schlichter empfunden und die Autos auf den Schienen mit so einem, wie soll ich sagen, innerlichen Behagen betrachtet, kann man das so sagen? Als Beweis unserer Tüchtigkeit. Je öfter diese Züge fahren, desto besser geht es uns allen, so dachte man doch. Ein Glücksgefühl war das, in Frieden in einem Land zu leben, das aufblühte mit Volkswagen und Rechenanlagen, ein Land, wo alle mit anpacken … Versteht das heute noch jemand? …
(Denkmalschutz)
Ja, das erzählt man mir immer wieder. Aber ich mag nicht mehr hingehen, in die Ur-Werkstatt, und den alten Zeiten nachweinen, es sieht zu traurig aus. Die Gemeinde lässt die Poststation verfallen, zu vermieten ist die nicht mehr. Keine Ahnung, was sie damit vorhaben, ob da der Denkmalschutz mitredet oder ob alles verfallen soll trotz Denkmalschutz oder wegen Denkmalschutz. Viele Fachwerkhäuser auf den Dörfern verfallen ja nur deshalb, weil kein Bauer Geld hat für die denkmalgerechte Renovierung … Stimmt, die gibt es gar nicht mehr im Dorf, kein Bauer mehr da, nur Arbeiter, Pendler, alles Bezieher der Pendlerpauschale … Das find ich auch, die paar Mark für eine Plakette müsste die Gemeinde doch übrig haben … Ich halt mich da zurück, das sähe komisch aus, wenn ich das zahle und diktiere, was sie da drauf zu schreiben haben: In diesem Hause wurde 1949, und so weiter, und so weiter … Ist schon absurd, da fliegen einem aus ganz Europa Ehrendoktorhüte zu, Anerkennungen von Palo Alto bis Tokio, und hier, in meinem kleinen Dörfchen, wo der Aufstieg begonnen hat und der Aufstieg der Branche, da gibt es nicht mal ein Hinweisschild … Na sicher! Zwei, drei alte Geräte werden sich noch finden lassen, ein kleines Museum, mit viel Rummel, mit großer Touristentrommel, das wäre doch ein gefundenes Fressen auch für das Dorf.Ist alles nur eine Frage des Marketing heute. Bald hat jeder zweite Deutsche, nein, sagen wir jeder zweite Westdeutsche, seinen eigenen Computer, da wird doch die eine oder andere Million Leute neugierig sein, wie alles angefangen hat und wo. Auch wenn die Neukirchen-Schiene sich ein bisschen verschoben hat zur IC E-Strecke und den Autobahnen, seit der Vereinigung liegt das Dorf erst recht in der Mitte der Mitte. Die logistische Mitte, ich zitiere die Leute vom Rhön-Marketing. Also direkt am Weg, sozusagen, egal aus welcher Richtung die Leute kommen … Wissen Sie, was mir eben einfällt? Ich denke an die Kanalisation, lachen Sie nicht. Die wurde erst Anfang der fünfziger Jahre angelegt. Man könnte also damit werben, wenn man witzig sein will, wenn man das geschickt macht: Dies ist der einzige Ort auf der ganzen Welt, in dem es erst den Computer und dann die Kanalisation gab! Man muss nur einfach mal losphantasieren. Sie und ich, wir beide würden in fünf Minuten ein Konzept
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