Die Frau im Rueckspiegel
trat, ließ das Buch sinken, in dem sie las, und lächelte Christiane entgegen.
»Hallo«, begrüßte sie ihre Besucherin freudestrahlend.
Vielleicht hatte sie nichts von dem mitbekommen, was gestern abend hier stattgefunden hat, dachte Christiane. Vielleicht fand Hanna aber auch nichts dabei. Hanna war zwar etwas älteren Baujahres, aber wie Christiane sie bisher kannte, nicht von gestern.
»Hallo Hanna«, grüßte Christiane zurück. »Wie versprochen was zum Lesen und ein paar Kreuzworträtsel.« Sie setzte sich auf die Bettkante, legte die Zeitungen ab.
»Danke.«
»Und? Wie geht es Ihnen heute?«
»Zuallererst einmal finde ich es albern, daß wir uns siezen«, erklärte Hanna. »Und da ich die Ältere bin, biete ich dir das Du an. Ist das in Ordnung?«
»Ja, sicher«, erwiderte Christiane überrascht. »Gern sogar.«
»Gut. Und was deine Frage angeht: Es geht mir gut. Wenn man mal davon absieht, daß ich zur Untätigkeit verdammt bin. Aber bekanntlich ist das beste Mittel gegen Langeweile, neugierige Fragen zu stellen.« Sie zwinkerte Christiane zu. »Und was mich schon die ganze Zeit interessiert: Wie kam es eigentlich dazu, daß Rebecca ausgerechnet dich aus der Vielzahl der Bewerber ausgewählt hat?«
Christiane gluckste. »Ausgewählt? So würde ich es nicht nennen. Die Wahl aus eins ist ja bekanntlich nur eins oder keins.«
Christiane erzählte Hanna von dem Montag vor einer Woche, als sie in Rebeccas Vorzimmer kam, was dort passierte, bis einschließlich des Fauxpas gleich am ersten Abend.
»Sie hat mich ziemlich runtergeputzt. Ich wollte sie schon einfach mit ihrem protzigen Wagen stehenlassen«, schloß sie kichernd.
»Du hältst Rebecca für überheblich, hab ich recht?«
»Aber nein«, wehrte Christiane in einem Ton ab, der sie Lügen strafte. »Sie ist nur immer leicht verärgert, hat nie Spaß und gibt am liebsten die Schweigsame«, meinte sie trocken.
Hanna seufzte. »Ja. Ich weiß. Sie gibt sich reserviert. Aber eigentlich ist sie ein sensibler Mensch. Sie wurde halt oft verletzt, hatte viel Pech mit den Frauen . . . äh . . .« Hanna biß sich auf die Unterlippe. »Verdammt, jetzt habe ich mich verplappert.« Sie schaute Christiane bittend an. »Bitte sag Rebecca nicht, daß ich sie geoutet habe.«
Beruhigend legte Christiane ihre Hand auf Hannas Arm. »Mach ich nicht. Außerdem wußte ich es schon.«
Hanna bekam große Augen. »Ja?«
Christiane nickte.
»Ach so, du hast von dieser Geschichte gehört. Wo? In der Firma?«
Christiana hob fragend die Augenbrauen. Von welcher Geschichte sprach Hanna?
Hanna seufzte erneut. »Ich dachte, die Gerüchteküche wäre nach einem Jahr endlich abgekühlt. Diese Liane war wirklich ein Miststück. Sie hat Rebecca angezeigt.«
»Angezeigt?!« Christiane blinzelte irritiert.
»Wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, Nötigung.«
»Wie bitte?« Christiane glaubte, sich verhört zu haben. Rebecca hatte sicher ihre Fehler, aber sie belästigte doch niemanden!
»Der Anwalt handelte einen Vergleich aus«, erzählte Hanna weiter. »Im Grunde war es nichts anderes als eine Erpressung von diesem hinterhältigen Luder.«
»Und das hat Rebecca sich gefallen lassen?«
Hannas Blick trübte sich. »Rebecca war völlig am Ende«, sagte sie traurig.
Christiane schwieg betroffen. Lud Rebecca sich deshalb nur noch abendliche Besucherinnen ein? Um keine Gefühle zu entwickeln, die verletzt werden könnten?
Hanna hob resigniert die Arme und ließ sie wieder sinken. »Seit dieser Sache ist Rebecca, wie soll ich sagen, in allen Dingen sehr diszipliniert. Sie läßt niemanden an sich heran.«
Christiane kratzte sich verlegen am Kopf. Na ja, hier irrte Hanna. Rebecca ließ durchaus Frauen an sich heran. Aber was Hanna meinte, war ja auch ein anderes Heranlassen. Eines, welches Rebeccas Inneres betraf.
»Tja, wir alle haben unsere Probleme«, meinte Christiane.
Rebecca hatten diese Probleme hart gemacht. Das wäre für sie, Christiane, keine Alternative. Sie versuchte die Dinge positiv zu sehen. Enttäuschungen gehörten zum Leben. Deswegen durfte man sich nicht einigeln oder gar zynisch werden. »Das Leben ist nur selten fair.« Wer so sprach, lebte immer in Erwartung von etwas schlechtem. Ein freudloses Leben war das. Einsam.
»Rebecca sucht in der Arbeit Zuflucht«, redete Hanna sich weiter ihren Verdruß von der Seele. »Nicht, daß sie vor dieser Geschichte faul war. Ganz sicher nicht. Aber jetzt . . . ich sage ihr immer, daß sie raus
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