Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
›Königlichen Akademie der Wissenschaften und Schönen Künste‹ in Brüssel«, erklärte Valerie voller Stolz, als spräche sie von ihrem Enkel, der gerade promoviert hatte.
»Tatsächlich? Wie aufregend!«, erwiderte Anouk, warf dem Künstler einen spöttischen Blick zu und setzte sich an den Küchentisch.
»Ich traf ihn beim Bäcker«, fuhr ihre Großtante fort, ohne auf ihre ironische Bemerkung einzugehen, »er ist auf der Durchreise in den Süden. Nach Mailand, nicht wahr?« Der Maler nickte. »Wir kamen überein, dass er eine Weile hierbleiben und mich in dem gelben Kleid porträtieren soll.«
Anouk verschluckte sich und begann zu husten. »Wie bitte?«, keuchte sie.
Valerie runzelte die Stirn. »Spricht vielleicht etwas dagegen, Liebes?«
Anouk öffnete den Mund, schüttelte dann aber nur stumm den Kopf. Sie war noch nicht wach genug, um sich mit ihrer Großtante anzulegen, nahm sich aber vor, später ein ernstes Wort mit ihr zu reden.
»Übrigens kommt Doktor Sandmeier in einer halben Stunde vorbei. Er hat vorhin angerufen; ich wollte dich aber nicht wecken.«
Ihre Großtante zwinkerte ihr schelmisch zu, während Anouk unwillkürlich errötete. Der Kuss! War das wirklich erst gestern Abend gewesen? Es schien ihr bereits eine Ewigkeit her zu sein. Doch allein wenn sie nur daran dachte, spürte sie schon ein warmes Kribbeln in den Fingerspitzen. Fast hätte sie laut aufgeseufzt, schalt sich aber sogleich eine Närrin. Was war schon ein Kuss? Der hatte nichts zu bedeuten und würde bald vergessen sein – sowohl von ihr als auch von ihm. »Nein«, korrigierte sie sich leise, »damit belügst du dich nur selbst. Dazu bedeutet dir Max einfach zu viel.« Dennoch war sie überzeugt, dass es für sie in ihrer derzeitigen Verfassung besser war, die Sache zwischen ihnen zu beenden, bevor sie richtig begonnen hatte.
Mit einem Ruck erhob sie sich. Beim Verlassen der Küche hörte sie ihre Tante sagen: »Vielleicht nehmen Sie aber besser eine andere Farbe. Gelb macht mich so blass. Ein Rot wäre doch hübsch.«
Anouk schüttelte den Kopf und stieß die Luft aus. Es wurde langsam schlimm mit ihrer Großtante. Was wohl als Nächstes käme?
»Hör mal, Max …«
Sie saßen auf der Veranda und tranken Valeries selbst gemachte Limonade, die süß und klebrig war. Anouk stellte ihr Glas auf das Rattantischchen zurück.
»Es tut mir leid, aber ich denke, wir sollten das, was gestern passiert ist, vergessen.«
Max beobachtete sie über den Rand seines Glases hinweg. Er hatte nur einmal von der Limonade gekostet. Anscheinend konnte er ihr ebenfalls nichts abgewinnen.
»Du meinst den Kuss?«, fragte er.
»Nein, Roger Federers Ausscheiden in Wimbledon.« Anouk verdrehte die Augen. »Natürlich meine ich den Kuss!«
Max zog einen Mundwinkel nach oben. »Und wieso sollten wir das tun?«
Anouk verschränkte die Arme vor der Brust. »Mein Leben ist im Moment schon kompliziert genug«, sagte sie seufzend. »Ich denke, es ist keine gute Idee, wenn ich … wenn wir …« Sie brach ab und presste die Lippen aufeinander.
»Verstehe«, sagte Max, »du willst mir damit sagen, dass das Topmodel keine Lust hat, sich mit einem einfachen Dorfarzt einzulassen. Schließlich wird es irgendwann sein früheres Leben wieder aufnehmen, und dabei wäre er ihr nur im Weg. Habe ich recht?«
Anouk schnaubte. »Das habe ich nicht gesagt«, meinte sie, musste sich aber eingestehen, dass ein Körnchen Wahrheit in seinen Worten steckte. »Es ist nur … Ach, vergiss es einfach!«
»Okay.« Max stand auf und sah auf seine Armbanduhr. »Vergessen wir’s!«
Anouk schaute verblüfft zu ihm hoch. Sie hatte sich auf ein längeres, unerfreuliches Gespräch eingestellt und war deshalb reichlich überrascht, dass er widerstandslos einlenkte. Sie war beinahe enttäuscht. So schnell gab er also auf? Demzufolge hatte ihm der Kuss nicht viel bedeutet. Aber gut, auf diese Weise war es einfacher für sie beide.
Max ging die Verandastufen hinab. »Ach, bevor ich es vergesse.« Er drehte sich um und krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch. »Ich habe leider keinen Ersatz für Susanne gefunden. Daher möchte ich dich noch mal darum bitten, für sie einzuspringen. Die anderen verlassen sich auf mich. Und wenn ich Susannes Part nicht besetzen kann, müssen wir das Stück absagen.«
Anouk betrachtete Max’ braungebrannte Unterarme. Sie waren muskulös, als ob er regelmäßig Tennis spielen würde. Aber vielleicht tat er das ja auch. Sie wusste so
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