Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
war eine Kraft in ihr, die sie mit aller Macht zu Cornelis hinzog. Ihr Tagebuch war voller selbstgeschriebener Verse, die ihm zugeeignet waren. Bernhardine ertappte sich immer wieder dabei, wie sie tagsüber minutenlang ins Leere starrte, weil ihre Gedanken bei dem Holländer weilten und sie sich vorstellte, wie er und sie … Sidonia hätte sicher von einem coup de foudre, einem Blitzschlag, gesprochen, hätte sie um Bernhardines Gefühle gewusst.
Sie straffte die Schultern. Marie würde gut für die Kleine sorgen. Später könnte sie selbst noch kurz bei Désirée vorbeischauen. Sicher ginge es ihrer Tochter dann schon wieder besser. Einen Moment dachte Bernhardine an Gerold und seine Teufelsreden. Ob dies die Versuchung war, von der er ständig sprach? Sie wusste nicht, wie man heutzutage mit Ehebrecherinnen verfuhr. Früher waren sie verbrannt worden. Was den Herren seit jeher gestattet war oder zumindest stillschweigend geduldet wurde, war dem Weibsvolk schon immer verboten gewesen. Es hatte keusch und gottesfürchtig zu sein und alles anzunehmen, was die Männer oder die Kirche ihm vorschrieben. Was würde geschehen, wenn man sie mit Cornelis ertappte? Müsste sie ins Kloster gehen? Würde man sie von ihren Kindern trennen? An den Pranger stellen oder ins Verlies werfen? Oder zu ihren Eltern zurückschicken, die dann mit der Schande leben müssten, eine Buhle aufgezogen zu haben? Bernhardine schluckte. War es dies alles wert? Ein Käuzchen schrie in der Nähe, und sie erschrak. Sie durfte nicht länger zögern. Entweder überquerte sie jetzt diese Brücke, oder sie schlich zurück in ihr Gemach. Als hätte das Schicksal ihre Zweifel vernommen, riss in diesem Moment die Wolkendecke auf, und am Himmel waren die Sternbilder des Perseus und der Andromeda zu sehen. Bernhardine lächelte. Ihre liebsten Figuren aus den griechischen Sagen. Perseus, der seine geliebte Andromeda vor dem Ungeheuer rettete und damit ihre Hand und ein Königreich gewann. Gab es ein romantischeres Liebespaar?
Bernhardine schlang sich den Mantel enger um die Taille, zog die Haube tiefer ins Gesicht und rannte los.
Der Türknauf der Kapelle war mit Rauhreif überzogen, so dass ihre klammen Finger zunächst an ihm abglitten. Bernhardine hauchte in die Hände, schaute sich ängstlich um und versuchte es ein zweites Mal. Diesmal mit Erfolg. Sie zog die Tür auf und huschte ins Gotteshaus. Im Innern brannte eine Kerze, deren Flamme heftig flackerte, als sie eintrat. Kalter Rauch und aufsteigende Nässe stiegen ihr in die Nase. Neben ihren Füßen raschelte etwas, gleich darauf hörte sie ein leises Fiepen. Erschrocken raffte sie ihre Röcke und unterdrückte einen Aufschrei. Ekliges Mäusepack! Bernhardine wagte nicht zu sprechen und versuchte, Cornelis in der Düsternis auszumachen. Ob er schon wieder gegangen oder erst gar nicht gekommen war? Hatte auch ihn das Gewissen geplagt, so wie sie selbst?
Zwischen den Holzbänken erhob sich unvermittelt eine Gestalt und blieb reglos stehen. Bernhardine stockte der Atem. Sie griff sich an die Kehle. Der Teufel! Er war gekommen, um sie in die Hölle mitzunehmen!
»Mon Trésor?«, flüsterte eine bekannte Stimme.
Sie war so erleichtert, dass sie aufschluchzte. »Cornelis, Ihr habt mich fast zu Tode erschreckt!«
Sie hörte ein leises Lachen. Der Maler kam zwischen dem Kirchengestühl hervor, durchmaß den Raum in drei Schritten und schlang seine Arme um ihre Taille.
»Ihr habt mich warten lassen«, raunte er in Bernhardines Ohr. Sein Atem war warm und roch nach Gesottenem und Rüben. Mit seiner Zungenspitze berührte er spielerisch ihren Hals. Sie bekam eine Gänsehaut und schüttelte sich. »Ist Euch kalt? Soll ich Euch wärmen?«
Obwohl es dunkel war und Cornelis ihre Mimik nicht sehen konnte, nickte Bernhardine. Sie fürchtete, ihre Stimme würde ihm verraten, wie aufgewühlt sie war. Der Holländer wartete ihre Entgegnung nicht ab, sondern drückte sie enger an sich, schob seine Hände unter ihren Umhang und streichelte ihren Rücken. Er liebkoste ihre Schultern, strich sanft über ihre Arme und umfasste ihre Brüste. Sie keuchte auf. Ihre Knie knickten ein, und sie fiel hart an seine Brust.
»Ich …« Bernhardine hob den Kopf und wollte sich für ihre fehlende Contenance entschuldigen, doch Cornelis beugte sich zu ihr herunter und presste seine Lippen auf ihren Mund. Sie waren weich, und sein Bart kitzelte sie an der Wange. Bernhardine schmeckte das Bier, das er zum Abendessen getrunken
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