Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
und glühende Funken spritzten auf den Steinboden. Achilles jaulte, rappelte sich auf und suchte sich einen ungefährlicheren Platz. Nachdem er sich zweimal um die eigene Achse gedreht hatte, legte er sich neben den Sessel, bettete den Kopf auf die Vorderpfoten und schaute zu seinem Herrn auf. Hector schnarchte leise in der anderen Ecke des Zimmers. Er wurde alt, die Suche im hohen Schnee hatte den Wolfshund erschöpft.
Ihm geht es wie mir, dachte Johannes und griff nach dem warmen Gewürzwein auf dem Beistelltisch. Das scharfe Aroma von Anis, Nelken und Zimt schoss ihm in die Nase und ließ seine Augen tränen. Er nahm einen großen Schluck und lockerte die Halsbinde.
Es hatte keinen Zweck, sich länger etwas vorzumachen. Seine Tochter war tot. Ertrunken im eiskalten Wasser des Aabachs, der das Schloss umschlang wie die Arme einer liebenden Frau den Leib eines Mannes.
Johannes stieß die Luft aus, und sein Gesicht verzog sich zu einer hässlichen Fratze. Der Vergleich mit den Armen einer liebenden Frau hatte ihn unwillkürlich an Bernhardine denken lassen. Und die war alles andere als das. Er hatte gehofft, sie würde sich mit der Zeit an ihn gewöhnen und sich in ihr Schicksal fügen. Doch das war ein Trugschluss gewesen. Das Mädchen hatte ihm zwar die ersehnten Erben geboren, aber ihre Verbindung war von ehelichem Glück so weit entfernt wie der Mond von der Erde. Ihre übertriebenen Forderungen und Wünsche leerten seine Geldschatulle schneller als ein Säufer seinen Krug Bier. Er hatte sogar schon seinen Oheim um ein Darlehen bitten müssen.
»Ach, Viktoria«, murmelte Johannes und ließ den Kopf hängen, »warum musstest du mich nur so früh verlassen?«
Er nahm einen weiteren Schluck von dem starken Gebräu. Der Wein kratzte im Hals, ließ im Bauch jedoch eine wohlige Wärme entstehen, die ihm langsam in den Kopf stieg und ihn in einen warmen Nebel hüllte. Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn in seinen Gedanken. Noch mehr schlechte Nachrichten? Möglicherweise sogar das Unvermeidliche?
»Herein!«, seufzte Johannes ergeben.
Er drehte sich mit einem Ächzen um und machte sich darauf gefasst, in ernste Mienen zu blicken. Doch unter dem Torbogen stand Gerold. Sein Bruder hatte sich umgezogen und trug nun einen ausgeleierten, schwarzen Rock, der um seine hagere Gestalt schlotterte. Sein verfilztes Haar hatte er sich aus dem Gesicht gekämmt.
»Störe ich?«, fragte er und kratzte sich am Hals.
Johannes schüttelte den Kopf. Sein Bruder setzte sich auf einen Stuhl an seiner Seite und starrte ebenfalls in die Flammen. Eine Weile blieben sie stumm, dann räusperte sich Gerold und rückte mit seinem Stuhl näher ans Feuer. Erneut zerbarst ein Tannenscheit im Kamin. Ein roter Funke sprang auf seinen Rock, glühte einen kurzen Moment weiter und erlosch. Der Geruch von verbrannter Wolle hing plötzlich in der Luft.
»Mon Frère«, begann Gerold und rieb sich die Hände. »Es fällt mir unsagbar schwer, Euch dies zu berichten – gerade jetzt, in dieser dunklen Stunde. Aber ich sehe es als meine heilige Gottespflicht an, Euch mitzuteilen, dass …«
Johannes hob ruckartig die Hand. Der Wein schwappte über den Kelchrand und hinterließ einen Fleck auf dem Steinboden.
»Nicht noch eine deiner Fegefeuertiraden. Nicht jetzt … bitte.« Er schleckte den Wein von seiner Hand und stellte den Becher hart auf den Tisch. »Bei aller Bruderliebe, aber ich vermisse meine Tochter. Sie ist womöglich tot! Du hast keine Kinder, weißt also nicht, was in meinem Herzen vor sich geht … und da willst du über Sünden reden?«
Johannes war so aufgebracht, dass er alle Höflichkeit fahren ließ und Gerold wie einen einfachen Lakaien anfuhr. Er wollte gerade erneut das Wort an ihn richten, als ihm plötzlich das Blut ins Gesicht schoss. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, und er hatte Mühe zu atmen.
Aber sein Bruder merkte nichts davon. Er war aufgesprungen und lief ruhelos auf und ab.
»Aber es handelt sich um etwas ganz anderes. Um einen Traum, den ich …«
»Was gehen mich deine vermaledeiten Träume an!«, keuchte Johannes, schnellte aus dem Sessel hoch und funkelte seinen Bruder wütend an. »Langweile gefälligst deine Gemeinde mit diesem Geseire. Oder deine Buhlschaften. Mir ist es verdammt noch mal einerlei, ob ich in die Hölle komme! Ich …«
Johannes’ Gesichtsausdruck wechselte plötzlich von Ärger in Überraschung. Er griff sich an die Brust, stieß ein heiseres Krächzen aus und sank
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