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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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eine Beziehung hatte? Nein, natürlich nicht. Das war so typisch für sie! Sie platzte einfach in das Leben ihrer Mitmenschen hinein und vereinnahmte sie mit ihren Befindlichkeiten, ohne Rücksicht auf deren eigene Sorgen und Nöte zu nehmen. Julia hatte sie sogar den Tod gebracht. Und wenn sie heute nicht so instinktiv gehandelt hätte, wäre Max vermutlich auch gestorben. Sie fröstelte. Sie war ein Todesengel. Azrael. Eine Apokalypse in Stöckelschuhen und Gardemaß!
    »Ein Königreich für deine Gedanken.«
    Anouk fuhr herum. Max stand hinter ihr und lächelte. Seine linke Backe war geschwollen, als hätte er sich einen Zahn ziehen lassen.
    »Hast du eine Freundin?«
    Er krauste verblüfft die Stirn. »Nicht, dass ich wüsste.« Er fasste in Anouks Mähne und drehte eine Locke um seinen Zeigefinger. »Ich dachte eigentlich, dass du diesen Posten innehast.«
    Ihr Herz machte einen Satz, doch sie entzog sich seiner Berührung.
    »Ich meine es ernst, Max. Bin ich in eine bereits bestehende Beziehung hineingeplatzt, von der ich nichts weiß, aber wissen müsste?«
    Max strich sich über den Nacken und verzog das Gesicht, als ob ihm diese Bewegung Schmerzen verursachen würde.
    »Nun ja«, er schob mit dem Fuß ein herabgefallenes Blatt von der Veranda, »ich war ein paar Mal mit Brigitte aus.«
    Anouk hob die Augenbrauen. Sie hatte also recht gehabt und die tödlichen Blicke der Bibliothekarin, die diese ihr mehrfach zugeworfen hatte, richtig interpretiert.
    »Aber das war alles ganz harmlos«, fuhr er fort, »ich … sie … wir sind nur Freunde. Aber warum fragst du das?«
    Anouks Blick wurde leer. Sie griff sich an die Kehle. »Offenbarung des Johannes, Kapitel 6: ›Und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach.‹«
    Max schaute sie entgeistert an. »Donnerwetter, das hätte ich dir nicht zugetraut.«
    »Was?«
    »Dass du aus der Bibel rezitieren kannst!«
    »Wer rezitiert denn hier aus der Bibel?«
    »Na, du.«
    Anouk lachte schallend. »Ja, klar. Ich und Bibelverse? Du musst dir den Kopf wirklich stärker angeschlagen haben, als ich dachte.«
    Sie drehte sich um, setzte sich auf die Bank und schlang die Arme um die angewinkelten Knie. Max folgte ihr und ließ sich vorsichtig an ihrer Seite nieder.
    »Wenn ich es doch sage. Gerade eben hast du aus dem Buch Johannes deklamiert.«
    Anouk tippte sich an die Stirn. »Willst du damit etwa andeuten, dass ich jetzt auch schon wie Tati Valerie irgendwelche Dinge schwatze, von denen ich danach nichts mehr weiß? Netter Scherz, ich kann nur nicht darüber lachen.«
    Sie warf die Haare zurück. Max biss sich auf die Lippen, und
    Anouk starrte ihn entsetzt an. Er hatte keinen Scherz gemacht, sondern es völlig ernst gemeint. Aber sie hatte doch gar nichts gesagt! Und wenn doch, dann sicher keine Bibelverse.
    »Es ist Zeit fürs Bett«, versuchte sie, das Thema zu wechseln, und stand auf. Max’ Behauptung jagte ihr Angst ein. Bis jetzt hatte sie die Dinge noch einigermaßen unter Kontrolle gehabt, auch wenn sie das meiste von dem, was ihr widerfuhr, nicht begriff. Aber wenn sie – wie Tati – nun auch noch anfing, unverständliches Zeug zu reden, könnte sie sich gleich in die Psychiatrische einweisen lassen.
    »Wir wollten doch noch im Internet ein wenig über den Kurator recherchieren«, wandte Max ein.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin todmüde, und Rufli läuft uns nicht davon. Morgen ist auch noch ein Tag.«
    Max nickte und erhob sich ächzend. »Na dann.«
    Er stand einen Moment unschlüssig neben ihr, als hätte er noch etwas auf dem Herzen, drehte sich dann aber wortlos um und ging langsam die Stufen hinab zu seinem Wagen.
    Anouk blickte ihm nach. Sie hätte ihn gerne umarmt, geküsst oder am liebsten gleich dabehalten. Ja, sie war in ihn verliebt! Aber sie brachte den Menschen kein Glück. Da war es vielleicht doch besser, wenn sie sich nicht noch mehr auf Max einließ. Für ihn auf alle Fälle.

    Aus Frau Bolligers Wohnzimmer fiel ein schmaler Streifen Licht in den Flur. Max versuchte, so leise wie möglich durch den Korridor zu humpeln. Er hatte jetzt wahrlich keine Lust darauf, seiner Vermieterin zu begegnen und ihr sein lädiertes Aussehen erklären zu müssen. In seiner Wohnung angekommen, öffnete er die Tür zum Balkon und trat hinaus. Der Mond warf ein silbernes Band auf den See. Max lehnte sich an die noch warme Hausmauer und schloss für eine Minute die Augen. Sie hatten verdammtes Glück

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